Natürlich bin ich treu. Also, im Rahmen meiner Möglichkeiten. Die Sache mit Mia würde ich auch nicht als Fremd- gehen bezeichnen, sondern als nicht ganz gelungenes soziosexuelles Experiment. Mia ist, nein, war die beste Freundin von Nadine, die immer noch rätselt, weshalb sich ihre ver- sierte Lästerschwester in letzter Zeit so rar macht. Ich bin ihr jedenfalls für diese Zurückhaltung dankbar, die einsetzte, kaum dass ich die Notaufnahme wieder verlassen durfte.
Alles begann an diesem Wochenende nahe Wuhlsdorf. Rayk war Fliesenleger aus Cottbus. Kompakt, drahtig, acht Jahre jünger als Mia. Im Rahmen der Altbausanierungen in Berlin war er gut im Geschäft, was nicht zuletzt auf seinem Prinzip »Zwei Drittel auf Rechnung, der Rest schwarz« beruhte. Das erste Mal erlebte ich Rayk auf dem Sommerfest in Rudis Datsche. Er trug ein Muskelshirt, damit das Rammstein-Tattoo auf dem rechten Oberarm gut zu sehen war, sprach einen lustigen Dialekt und verwendete den Begriff Kanake mit der jovialen Beiläufigkeit des geübten Nutzers.
Unsere eingespielte Clique gut saturierter Intellektueller bereicherte Rayk mit dem rustikalen Flair eines aufstreben- den Arbeitersprosses, der sich immerhin ein Men’s health– Abo gönnte und sogar den vorletzten Mankell-Krimi gelesen hatte.
Mia hatte Rayk vor gut vier Wochen zufällig auf einer seiner Baustellen kennengelernt und vollzog seitdem mit be- achtlicher Frequenz den Beischlaf mit ihm. Das jedenfalls hatte mir Nadine beim postkoitalen Plausch an einem Sonn- tagmorgen verraten.
»Sie lässt sich also von einem Fliesenleger kacheln«, stellte ich nüchtern fest, während unsere Sekrete zügig trockneten.
»Genau«, sagte Nadine, »im Schlafzimmer, auf dem Küchentisch, in Umkleidekabinen, mobilen Baustellentoiletten, in, auf und unter Autos. Und jedes Mal macht es bei Mia zuverlässig Peng!«, was ich als leise Kritik an meinen vorangegangenen Bemühungen auffasste. Ich hatte also beachtliche Erwartungen an Rayk, die bei der ersten Begegnung zu- gegeben nicht ganz erfüllt wurden.
Mia, studierte Sozialpädagogin, seit neun Jahren Leiterin einer Kindertagesstätte in Neuköln, wo sie aus strategischen Gründen mit allen drei männlichen und dem weiblichen Vorstandsmitglied des Trägervereins schläft. Groß, hager, busenlos und mit einer nicht zu definierenden Haarfarbe, interessierte sie mich als Frau kein bisschen. Es gibt Parkscheinautomaten in Lankwitz, die ich erregender finde. Umso komplizierter, das Folgende zu verstehen…
Nadine wollte an diesem Tag später kommen, eine dringende Kundenpräsentation stand an. Mia war natürlich mit Rayk angereist. Allerdings gönnt sich Rudi auch in seiner geräumigen Datsche Bezahlfernsehen und Rayk hatte seine Begleiterin zugunsten einer Bundesliga-Live-Übertragung alleine gelassen. So fand ich Mia in der Küche, eine fast leere Flasche Chardonnay in der Hand. Sie winkte mir schwach zu und fragte: »Und, wie findest du ihn?«
»Rayk? Ochja, netter Kerl, sympathisch…«
»Er ist ein Idiot«, sagte Mia fröhlich, »Hertha-Fan. Außerdem hat er drei DVDs von Mario Barth, weil er den cool findet. Aber dafür rammelt er wie ein Weltmeister.«
»Schön für dich, Mia«, antwortete ich und meinte es durchaus ehrlich. Sie rutschte näher heran und senkte die Stimme. »Weißt du, was mich an ihm so anmacht? Es ist der Geruch!«
Ich habe wohl nicht sonderlich schlau geguckt, denn die nächste halbe Stunde lang erläuterte mir Mia bei Zucchini-Sticks mit Kräuterdip und lactosefreiem Schnittkäse, wie es zu dieser besonderen Obsession gekommen war: »Aftershaves und Herrenparfums gehören für mich verboten, auch wenn es meinen schwulen Freunden das Herz bricht.«
Alles hatte während einer Sportstunde mitten in der Pubertät begonnen. Der nach einer bewegungsintensiven Unterrichtseinheit solide angeschwitzte Sportlehrer hatte Mia beim Sprung auf den Stufenbarren am Bauch gestützt. Dabei hatte sie unbewusst den komplexen Duft des beamteten Mittvierzigers inhaliert: »Und – was soll ich sagen? Plötzlich machte es bei mir da unten zum ersten Mal Katsching! Ganz ohne Vorwarnung…« Natürlich hatte Mia dabei den Holm verpasst und war frontal auf die Schaumstoffmatte geknallt. Ihren verklärten Gesichtsausdruck fehlinterpretierend, rief der besorgte Pädagoge gleich den schulischen Sanitätsdienst.
Über die Jahre entwickelte Mia ein subtiles Gespür dafür, welche männlichen Transpiranz-Produkte bei ihr die meiste Wirkung zeitigten:
»Am liebsten mag ich den nicht mehr ganz frischen Schweiß, vielleicht zwei Stunden alt, schon etwas ange- trocknet und erst am Beginn der Zersetzung.« Wenn zum Beispiel in der S-Bahn hinter ihr jemand stehe, der gerade aus dem Sportstudio komme: »Zack, schon ist der Schlüpper nass!« Jenes muffelige Odeur subtiler Verwesung, das sich gerne nach tagelangem Duschboykott im Hochsom- mer bildet, beeindruckte sie hingegen wenig.
So entwickelte sich eine logische Kette von Liebhabern, die ihr das gaben, wonach es sie so besonders gelüstete: Ein Streifenpolizist (»Herrlich, diese Uniformen aus Polyester-Imitat, für die der Status ›atmungsaktiv‹ nie angestrebt wur- de«), ein bisexueller Personal Trainer, ein stark behaarter Retro-Straßenmusiker und natürlich dieser adipöse BVB-Fahrer, von dem sie sich einen Sommer lang regelmäßig nach Dienstschluss bespringen ließ.
Rayk lernte sie kennen, als dieser gerade zwöf Quadratmeter Küchenfliesen in einer sonnendurchfluteten Dachge- schosswohnung legte. »Dieser Geruch … unbeschreiblich. Da war das Höschen praktisch sofort auf Halbmast.«
Wie aufs Stichwort stand Rayk in diesem Moment in der Küchentüre, sie winkte ihm chardonnayselig zu, worauf sich eine Art Dialog entwickelte, den ich zum geordneten Rückzug nutzte.
Ich schwöre, ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ihre Ausführungen ließen einen Plan reifen, der kein gutes Ende nehmen sollte. Andererseits kannte ich sonst keine Frau, die regelmäßig olfaktorisch wuschig wurde.
Ich ließ einen Monat verstreichen, dann packte ich meine in die Jahre gekommenen Sportklamotten aus und trabte los. Ich hatte ewig nicht gejoggt und nach dem ersten Kilo- meter war ich fertig mit der Welt. Außerdem war der Sommer sehr heiß. Aber die gewünschte Wirkung trat ein, das Hemd klebte am Körper, die salzige Brühe suppte den Nacken hinab und tanzte unter der Nasenspitze. Um den runden Ausschnitt des T-Shirts hatte sich eine sumpfig-feuchte Zone gebildet.
Ich setzte mich auf eine Parkbank, registrierte die mitlei- digen Blicke der Schulkinder und ließ ansonsten die Wollust erzeugenden Gärungsprozesse meiner Transpiranzen ihren Job machen.
Ich wusste natürlich, dass es Mias freier Nachmittag war. Eine halbe Stunde später stand ich vor ihrer Wohnungstür.
»Hallo, Mia, ich habe gerade in deiner Gegend gejoggt und dachte, ich schau mal vorbei.«
Sie sah mich völlig überrascht an. Dann jedoch bemerkte ich, wie ihre Nasenflügel stärker und stärker vibrierten, sie atmete schneller und tiefer. Sie flüsterte mit atemloser Stimme: »Du. Bist. Verrückt!«
Sie riss mir noch im Flur die Jogginghose auf die Knöchel, raffte ihren Minirock hoch, zerrte hektisch ihr Höschen herunter. Sie warf mir die Arme um den Hals, presste ihre Lippen auf meinen Mund und umklammerte mich mit ihren mageren Schenkeln. Und das war eben der Fehler.
Die Heftigkeit und Leidenschaft der Attacke trafen mich völig überraschend. Das und die Wucht der verblüffend ansatzlosen Penetration verwirrten mich. Ich verlor das Gleichgewicht und knallte gegen die Flurwand. Gemeinsam mit Mia, die nicht daran dachte, mich aus der Beinklammer zu entlassen, rutschte ich bedächtig die Raufaser herunter, um schließlich mit dem rechten Ellbogen einen kleinen Glastisch unter der Garderobe zu zerstören.
Der Rettungssanitäter war Anfang 20 mit raspelkurzen blonden Haaren. Wie erwähnt, es war heiß, er hatte etliche Schweißtropfen auf der pickeligen Stirn und das blaue Polohemd der Johanniter war ebenfalls durchgeschwitzt. Ich re- gistrierte noch, wie Mia ihn intensiv anstarrte, dann wirkte das Schmerzmittel.
Nadine holte mich später aus dem Krankenhaus ab. Ich sagte, ich sei beim Joggen nahe einem Altglascontainer aus- gerutscht. Tage später erfuhr ich von ihr, dass Mia nach Fliesenleger Rayk jetzt mit Sanitäter Malte zusammen war.
»Vielleicht sollte ich mir auch einen jungen Liebhaber gönnen«, spottete Nadine. Meine Anrufe drückt Mia konsequent weg, doch noch hoffe ich auf eine zweite Chance. Nadine meint allerdings, ich sollte mich öfter mal duschen.
***
Der Müffler belegte den 4. Platz beim Schreibwettbewerb des Konkursbuch Verlags Claudia Gehrke, veröffentlicht in Mein heimliches Auge XXX (Tübingen 2015).
Wiederveröffentlicht in: Irgendwas ist immer, Stories von Markus Peters, CHORA Verlag, Duisburg, 2021
Was haben ein übermotivierter Landarzt, ein blutig gescheitertes Teambuilding-Event und der moralische Verfall des deutschen Bäckerhandwerks gemeinsam? Eine ganze Menge, findet Markus Peters und verpasst dem Alltag in seinen Satiren, Stories und Kolumnen einen wohldosierten Dreh ins Absurd-Komische.
Dieses Buch sammelt Texte, die in den vergangenen 30 Jahren verstreut in Anthologien und Zeitschriften erschienen sind, sowie Auszüge aus einigen längst vergriffenen Büchern. Sie wurden gründlich gelüftet, durchgefeudelt und abgestaubt, so dass sie wie neu aussehen. Neben knappen Studien aus der Welt der Randfiguren und des Prekariats stehen poetische Erinnerungstexte und Untersuchungen aus der Welt der fliegenden Überflieger oder der Großstädte, in denen schöne junge Menschen sich narzisstisch mit großen alten Romanfiguren wie Don Quichotte identifizieren. Satiren über Sex, Crime und andere Volldanebenheiten runden dieses Buch voller Ecken und Kanten gottlob keineswegs ab.