Schreiben – Meißeln – Fräsen –Hämmern – Löten –Löschen
Was, Sie schreiben nicht mehr? Es genügt ihnen die Mattscheibe? Sie tauschen einfach nur Bilder aus? Recht so! Doch wenn Sie wieder schreiben, empfehle ich Ihnen folgende Arbeitsweise: Schieben Sie die Rücken von Buchstaben aneinander! Das erleichtert den kontaktfreudigen Umgang mit Sätzen. Was, Sie zögern bei der Konfrontation mit dem G, G wie Gewalt? Wieso zaudern Sie bei der Begegnung mit dem V, V wie Verlust? Vergnügen Sie sich doch lieber mit dem doppelbäuchigen B! Es fühlt sich wie eine Achterbahn an. Und machen Sie anschließend ihre morgendlichen Turnübungen am T, T wie Tornado! Was, Sie schrecken vor einem Hurrikan zurück? Sie wollen sich stattdessen Klimamahnmale auf Ihre Stirn meißeln? Bedenken Sie doch die Folgen eines solchen Missgeschicks! Ihre Neuronen gehen auf Wanderschaft! Sie würden gerne Brücken bauen zwischen Kleinhirn und Wernicke? Sie wollen sich kleinlaut dem Geschrei nähern? Bleiben Sie nicht im Getümmel der Fragesätze hängen! Die Ausrufe am Ende einer Geschichte häufen sich sowieso! Warum scheuen Sie sich nicht, dem O einen vor den Ballon zu knallen? Wieso ducken Sie sich vor diesem pausbäckigen Ganoven P? Seien Sie vorsichtig beim Umgang mit Q! Es ist wie Quecksilber, es quietscht, wenn Sie zu scharf in die Kurve gehen! Sonst rutschen Sie in die …! Nein, nicht was Sie vermuten. S-Kurven beleben den Schreibvorgang und sorgen für ungestörte Verdauung! Sie verspüren immer noch keine Erleichterung bei der Entfaltung Ihrer Gedanken? Versuchen Sie es doch mit einer elektronischen Fräse! Sie rutscht schmerzlos durch ihre blumigen Sätze und köpft ihre Stilblüten ebenso rasch wie die Wurzeln ihrer kühnen Gedanken UND sie beseitigt geräuschlos Ihre originellen Einfälle, hinterlässt nur anekdotische Spuren, die leicht zu entfernen sind.
Sie sind immer noch unzufrieden mit den Spannungsbögen Ihrer Sätze? Sie beklagen den trägen Abgang vor den Absätzen? Kein Problem! Nageln Sie ein U in Ihren linken Absatz und füllen Sie den so entstandenen Behälter mit den Leitgedanken Ihrer Überlegungen aus dem rechten Absatz. Und benutzen Sie bitte keinen Vorschlaghammer bei diesem Vorgang! Er könnte Ihrer fortschreitenden Kreativität einen immensen Schaden bereiten! Sie belächeln meine Vorschläge zur ungestörten Steigerung Ihrer literarischen Fähigkeiten? Vielleicht sind die Ursachen für die fehlenden Verbindungen zwischen mächtigen Hauptwörtern und heftigen Interjektionen in Ihrem stürmischen Erzählfluss zu suchen? Halten Sie deshalb öfter inne, sinnen Sie den Spannungsbögen nach und greifen Sie, wenn alles nichts hilft, zu einem Lötkolben! Sie behaupten, die einzelnen Buchstaben hätten unterschiedliche Schmelzpunkte? Das erschwere den ungestörten Fluss von A bis Z. Und die so seltenen X-e oder Y-e? Sie erleichtern doch aufgrund ihrer hohen Schmelzwerte den befreienden Abschluss des kreativen Aktes. Lassen Sie sich deshalb kein Z vor einem A vormachen! Zaudern Sie nicht, betätigen Sie die Löschtaste und beginnen von vorn!
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Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte uns Wolfgang Schlott dieses kleine post-dadaistisches Manifest.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.