Auch wenn die neuen Gedichte und Buchstabenanordnungen von Safiye Can, deren 2014 erschienenes, gefeiertes Debüt „Rose und Nachtigall“ mit Liebesgedichten auf die vierte oder gar fünfte Auflage zusteuert, vielleicht nicht Ären prägend sind, die eine oder andere rettende Seite ist wohl darunter.
„Diese Haltestelle hab ich mir gemacht“ wirkt ein wenig wie ein, in der Popmusik würde man sagen, Zwischenalbum. Man kennt das von den bedeutenderen Bands – als E.P. oder B-Seiten-Sammlung –, und oft ist es so, dass sich auf diesen Medien das freiere, eigentlichere Werk der Barden oder des jeweiligen Künstlers findet. Ein bisschen sind diese Gedichte auch Pop, ihre gelegentliche Verspieltheit und Leichtherzigkeit, ihre zuweilen eindimensional gelegte Strecke überdeckt manchmal den Hauch ihrer Suchbewegung, bei den kühnen Perlen des Freischwimmens rotiert stets auch ein wenig Bruchwerk mit.
Safiye Can, Kind tscherkessischer Eltern und im hessischen Literaturhexenkessel wohnhaft, hat aus diesen Umständen heraus eine lyrische Mittlerstellung zwischen der Literatur des Okzi- und des Vor-Orients, so scheint es – dieses Spezifikum, ihr Umgang mit dieser Arbeit und die eingängige Stimme, die diese Position in der neuesten deutschsprachigen Lyrik vertritt, hat ihr erstes Buch zur saisonalen Sensation werden lassen.
Es ist nicht ganz einfach, angesichts dieses Erfolgsbuchs bei der „Haltestelle“ nicht nach selbigem zu schielen, zumal da es sich um das ominöse zweite Album … will sagen, literarische Sammelwerk dabei handelt. Oft ist das zweite Buch eine Art Schäfermond zwischen den Ringen einer nach dem Debüt ausbrechenden Druckschleife, es sortiert den Beginn, der oft in glücklichem Blindflug absolviert ist, mit dem erwachenden Bewusstsein für eine Art des, wenn auch im Falle der Lyrik, rar gefragten Lieferdienst im Ablicht, in der Albedo einer eingetretenen literarischen Öffentlichkeit. Gleichwohl mag eine solche Kompilation ein Tummelplatz für das Beiseitegesprochene, sonst nicht Unterzubringende sein. Auch davon findet sich einiges in diesem Band. Gewissermaßen, so scheint es, ist es die letzte Möglichkeit, zwischen die Mond- und Planetbahnen des zu erwartenden ‚erwachsenen‘ Werks Asteroiden, Plutinos zu streuen: Konkret-Kram und Halbzeuge wie hier eingeschlossen …
Safiye Can spricht grundsätzlich mit fester Stimme, ihr Gestus ist stark und staunend zugleich, mit einer merkwürdigen Gedimmtheit, die jedoch nicht den Ruch von taktierender Kleinheit evoziert, im Gegenteil – sie steht durchaus in der kühlen Bewusstheit, sich ‚auszusetzen‘. Einer zuweilen halsbrecherischen Mixtur aus poetischer und Alltagssprache eingedenk, ist manches gar überkonkret, aus der Schmalspur der Wortspiele geboren:
„Der / Dichter / Dichte / Dicht // Er / Dichte / Dir / Dichte // Ich / Dichte / Dich / Her“ („Ihr“);
anderes wieder flirrt viel mehr in seiner Bezüglichkeit, dass es durchaus eine Freude ist.
Die „Routinearbeit“ etwa, gleich gegenüber, ist eines der auf den Punkt geführten Beispiele für die mögliche Can’sche Sprache, bei einfachster Verwendung anspielungsreich:
„So mancher in seiner Ecke / macht just wieder / aus allen Elefanten / einzeln Mücken / um den Tag / unbeschädigt wie möglich / zu bestehen.“
Etwa in der Mitte des Bands gelagert, mögen die Auszüge als Beispiele für die Spannweite der in den Zyklen versammelten Texte dienen. Es ist eine merkwürdige Stille in vielen dieser Texte – sie wirkt zum Teil wie sich selbst konterkarierend; auch ein paar Ausrutscher („Kein Manifest 1 & 2“ etwa) kreisen aufgrund ihrer Unbedarftheit und partiellen Alyrizität schrill und verloren im Band.
Am triftigsten gelingt es Safiye Can, ihren Ton zu halten, in den ersten beiden Kapiteln und im Titelzyklus. Eine stille Zeitläufigkeit paart sich dort mit dem verhaltenen Schreck, wo man denn hingeraten sei:
„Macht und Stärke / und Dimension der Ferne / etwas zuckt auf, wird / lebendig, in ihrer Brust / die Tragweite der Liebe / wo ist oben, wo unten? / An der Hauptwache / fällt ein Olivenzweig / zu Boden.“
Oder:
„im Epizentrum / stehen zwei Menschen / eng umschlungen, ohne / festes Land unter den / Füßen, es ist zu spät …“
– das ‚Auseinandergehende‘ und ‚Zusammenstrebende‘ einer in die Verwüstung, im besten Fall noch in eine oberflächliche, nicht ernst gemeinte Verfreundschaftung geratenden Ära bildet sich ab, setzt nicht zuletzt angesichts der grafischen Gestaltung durch Ferdi Tosunlu und die Übertragung eines Großteils der titelgebenden Texte ins Englische durch Hakan Akçit am Ende der Sammlung einen windrosigen Hauch zwischen die Rippenbögen der Vereinzelung.
In der Tat, manche Stelle dieses Buchs scheint geeignet, einem den Tag zu retten:
„wie viele Türen / sie auch schließen / neue / gehen auf.“
Sei’s drum. In wackligen Zeiten gemacht, teils plakatförmig gebreitet, teils in äußerster Knappung, sind diese Texte kräftige Spiegelungen, Spiegelbewegungen, eine Suche nach den Augen der Anderen, und sei es nur, um ein einziges Gegenüber zu finden – was ja der Grund alles Lyrischen ist.
***
Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.