Ein schönes Bild, sage ich, als ich vor dem berühmten Aktgemälde von Courbet stehe, ein tiefes Bild! – Ich weiß nicht, sagt Schlange, was du an diesem Bild findest, du siehst in die geöffneten Beine einer nackten Liegenden, das Bild macht dich zum Voyeur. – Was sonst?, sage ich. – Das ist Kunsttheorie, sagt Schlange, ich meinte das anders. – Nein, sage ich, der Akt ist ein Stillleben! – Du gibst nicht auf, sagt Schlange. – Nein, sage ich, du musst den Titel dieses Stilllebens sehen. – „Der Ursprung der Welt“?, sagt Schlange, na und? – Denk nach!, sage ich. – Die Welt wird hier zum Torso platter Natur, sagt Schlange, es fehlt sogar der Kopf der Frau! – Es ist an dir, sage ich, die Welt zu erschaffen. – Du überdeutest den Titel des Bildes!, sagt Schlange. – Ach was, sage ich, ich hätte dir den Titel, ohne das Bild je gesehen zu haben, sagen können! – Männer…, sagt Schlange, ihr begreift noch nicht einmal euch selbst!
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.