Monat: Mai 2016

Band 8 der Kaukasischen Bibliothek

  Wer einen ersten Blick auf den Band 8 der Kaukasischen Bibliothek des Herausgebers Uli Rothfuss wirft, den überrascht das schräg  platzierte Foto auf der Umschlagseite: Schota Tschantladse und seine Freunde Guran Dotschanaschwili und Ansor Asatiani. Es sind Namen, die…

Verfremdung

Ach, Schlange, sage ich, ich habe die ganze Nacht immer nur dasselbe geträumt! –  Was denn?, sagt Schlange. – Ich kämpfte mich die ganze Zeit in einer riesigen Stadt durch den gewaltigen Verkehr. – Das war ja wieder mal klar,…

Versnetze_neun

  Zum Geleit: Ende Juni 2016 wird im Verlag Ralf Liebe die neunte Ausgabe der von Axel Kutsch herausgegebenen Anthologie-Reihe „Versnetze“ mit neuen Gedichten deutschsprachiger Lyrikerinnen und Lyriker erscheinen. „Versnetze_neun“ enthält auf 328 Seiten unter anderem Texte von Theo Breuer,…

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Ruf dich an ihre Stelle Welchen Stufen hast und welchen Rückgrat Bogen gegen die Abgründe getürmt   Welche Risse überbrücken in dir den Knick des Raumes: Wand, Aufgang, Durchblick, Wölbug spürst nach mit Finger Kuppen Atem Krümmung:   Mein Kind…

Gedankenstrich

Muttersprache: dort, wo das Wort Liebe die wärmste Temperatur hat. *** Gedankenstriche von Joanna Lisiak, Kulturnotizen 2016 Weiterführend → Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen Sebastian Schmidt und Joanna Lisiak. KUNO verleiht der Autorin für…

Dekadansé

  da muss man sich durch tanken die Buchstaben steh’n lassen alle Silben ausspielen den Worten durch die Beine tricksen den Sætzen gegen die Lauf richtung spielen … es geht nur noch um = eine Sprache die sich selbst zum…

Brutto und Netto

Sag mal, sagt Schlange, wie lange kennen wir uns eigentlich schon? – Brutto oder Netto?, sage ich. – Brutto, sagt Schlange. – Zweieinhalb Jahre, sage ich. – Und Netto? – Kommt darauf an, sage ich, was du unter Netto verstehst.…

Freiheit

    Aufgefallen waren ihm vor allem ihre lässigen Kleider, die den Charme der späten sechziger Jahre versprühten. Dieses Gefühl von Freiheit und Liebe, von Toleranz und Exzess. Für die heutige Zeit fast erschreckend. Trotzdem setzte sich der Kolkrabe auf…

Elftes Nachtstück

  Du gehst falsch mit ihr um, die dir in treuer Ergebung in den Träumen erscheint. Du befürchtest sie, weil sie den Traum-Anschein stört, und sehnst sie herbei. Äonen, seitdem du ihrem traurigen Mandelgesicht ein Lächeln entlocktest, zu eurem Kennenlernen…

Die Unterwerfung

  Wenn Herr Nipp sonntagmorgens aus dem Bett fällt, weiß, dass sonst noch niemand auf ist, dann hat er manchmal nicht Anderes und Besseres zu tun. Er baut sich Satzkonstrukte, die weniger Sinn als Schönheit haben oder nach bestimmten Kriterien…

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  Von Engeln kosten Dass sie nicht gleich aufschrein jubeln vor Freude: Einer erscheint   Richtungen weisen sie mit Schwingen Flugspuren zeichnend verdoppeln sich ineinander:   Verdichtung es dunkelt     *** Im Monat der Seidenraupe, eine lyrische Entpuppung von…

So heiß

Mir ist so heiß, sagt Schlange. – Mir auch, sage ich. – Du hilfst mir nie, sagt Schlange, mir ist so heiß unter der Decke. – Tu die Decke weg, sage ich. – Dann fehlt mir was, sagt Schlange, ohne…

mecklenburg (gesang für ein polnisches fischgericht)

  vater spricht von häuserbauenauf der weide die stute galoppiertüber die straßen zieht salzluftin bernsteinfarbenen fenstern spiegeln rosenblätterschneefalter einen krieg zwei kriegebist du fort gezogen und gestorbendein gummibaum erinnert nochdeine schwestern sind alle tot deine brüdernur einer hat überlebt ruhe…

Verwerfungsspalte

    der Konflikt zwischen dem kollektiven Schicksal & den individuellen Idiosynkrasien wird in einer reflexiven Selbstvermessung zum zentralen Topoi um in einem alltæglichen Ausnahmezustand durch Grundmuster der Monographien in den innersten Bezirk eines Denkens einzudringen:   die blaue Kælte…

Mhmm.

Schlange, sage ich und recke und strecke mich wohlig im lebensvollen Traumbett, stehe auf, tanze federnd auf beflügelten Füßen zum Kühlschrank, zum Toaster, zum Tisch. – Was willst du essen?, sagt Schlange. – Kalt geschleuderten Honig auf bayerischer Butter über…

Gedankenstrich

Der Künstler darf, wenn er die richtigen Worte findet, sein Werk erklären. Dies jedoch vorauszusetzen, ist anmassend und bleiern.   *** Gedankenstriche von Joanna Lisiak, Kulturnotizen 2016 Further reading → Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen…

Haare

    Ihre Haare trägt die Prinzessin am liebsten streng um den Kopf geflochten. Traditionell sitzt sie morgens ein halbe Stunde vor dem Spiegel ihrer Jungfrauenkammer und macht sich zurecht. Sie wartet auf ihren Traumprinzen, seit 70 Jahren.   ***…

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  Sich dem Nähren nähern Mund des Sees kehrt die Wunde um wandelt Verletzungen in eine Landschaft aus Atem in der kein Versäumnis mehr kauern kann: Jetzt jetzt und   jetzt     *** Im Monat der Seidenraupe, eine lyrische…

mohn

  steig ich mohn im haar aus den pforten der nacht geh ich dem tag entgegen überschütten mich samen sinkt mein kopf die kapsel umfliegen mich hummeln     *** Seelenland, Gedichte von Holger Benkel , Edition Das Labor 2015…

Freiwillig gebe ich nicht auf

  Die Temperatur treibt mich in den Mantel. Und Schuhe ziehe ich auch noch an. Es entfernen sich schleunigst die Perioden. Kopf oder Zahl, der Zufall hat kein Gedächtnis. Ein zufälliges Ereignis wird nicht wahrscheinlicher, je länger es zuvor nicht…

veranlagungen

  bin unruhen heimlich hinterher geschlichen von schlichten bedeutungslosigkeiten stringent verfolgt kreisen über mir unbemannte raubvögel in februarstürmen ziehen wolkenschiffe über horizonte fliehen vorwitzig gedankenbrüche in kriegsgebiete nostalgischer logiker nichts ist nicht mehr nichts und dennoch bleiben reste von amtlich…

Libido

Schlange? – Ja? – Bist du noch müde? – Wie spät ist es denn? – Halb neun, sage ich, die Sonne scheint. – Ich bin noch so müde, sagt Schlange. – Dann schlaf weiter. Ich bin auch noch ganz müde,…

Gedankenstrich

Ein Land, in dem man den Leuten ansieht, ob sie satt sind und gegessen haben oder ob sie das Essen noch vor sich haben.   *** Gedankenstriche von Joanna Lisiak, Kulturnotizen 2016 Further reading → Lesen Sie auch das Porträt der…

Ein-Mann-Stadt

Als er uns damals sagte, er würde gerne nach Graz ziehen, wusste er selber nicht, warum er gerade dort seiner Pilgerschaft ein Ende bereiten wollte. Verwundert fragt er sich, wie er überhaupt all die Jahre glauben konnte, an ein Ziel…

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    Das heilige Wort an Großmutters Garten erinnernd:   Zitterbirke   *** Im Monat der Seidenraupe, eine lyrische Entpuppung von Sophie Reyer, Kulturnotizen 2016 Further reading → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Phönix

Das Leben ist so eigentümlich, sage ich, als ich mit Schlange zu Bett gehe, ich weiß nicht, ob ich jetzt allein mit dir schlafe oder zu zweit. – Wir sind doch nicht zu dritt, sagt Schlange, kannst du nicht zählen?…

exprimtell

  A kadementen exkeribenten mamakafenten hirnkrüppel hinkt   B linguenten smörrealenten tönerne enten dichtungsberingt   C erebum jandln follt ihr ferfandln zuckerkandl arbe   huelsenbeckmandln tristantzarandln D adadad Arp      *** Further reading → Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich…

Der Zettel

  „Grauzarte Nebelbänke hatten sich in dieser Nacht sanft über die Landschaft geschoben, sie in ihren weichen Dunst gehüllt. Die Sicht auf die Hügel dieses Mittelgebirges hatte eine Ungenauigkeit angenommen, als blicke man durch opakes Glas. Die sonst so harten…

Shakespeares Könige und große Herren

Vor 400 Jahren starb William Shakespeare. Hugo von Hofmannsthal mit einem Essay über den Menschenerfinder Ich glaube zu wissen, was Sie bewogen haben kann, mich hierher zu rufen, damit ich vor Ihnen spreche. Es war keinesfalls der Drang, etwas Neues zu…

Apotheose

  Schlange, sage ich, ich habe Hunger. – Auf was denn, fragt Schlange, willst du mich? – Nein, sage ich, ich habe nicht den großen Hunger. – Dann koch dir was, sagt Schlange. – Ich weiß nicht was, sage ich,…

Gedicht gegen die Arbeit

  Der Seemann wird heimgerufen. Der Fensterputzer ist weg vom Fenster. Der Schaffner liegt in den letzten Zügen. Dem Heizer erlischt der Lebensfunke.   Der Schmied springt über die Klinge. Der Autohändler kommt unter die Räder. Der Kfz-Mechaniker schmiert ab.…