Band 8 der Kaukasischen Bibliothek

 

Wer einen ersten Blick auf den Band 8 der Kaukasischen Bibliothek des Herausgebers Uli Rothfuss wirft, den überrascht das schräg  platzierte Foto auf der Umschlagseite: Schota Tschantladse und seine Freunde Guran Dotschanaschwili und Ansor Asatiani. Es sind Namen, die selbst für georgisch eingeweihte Liebhaber von Lyrik bislang unbekannt waren. Das Vorwort von Bela Tsiburia „Schota Tschantladse – ein un-sowjetischer Dichter im sowjetischen Georgien“ klärt über diesen Tatbestand auf. Schote Tschantladse, 1928 im westgeorgischen Zemo Aketi, 1968 in Tbilissi gestorben, gehört zu jener tragischen Dichtergeneration, die, in die stalinistische Ära hineingeboren, ihre ersten Versuche der Beschreibung einer demagogisch verfälschten Realität unter der Einwirkung einer rigiden Kulturpolitik unternahmen. Auch der Ende der 1940er Jahre debütierende Schota habe, wie die älteren Vertreter der in den 1920er Jahren sowjetisierten Georgien, hymnische Gedichte auf den Diktator Stalin geschrieben und veröffentlicht. Doch bereits die ersten drei in diesem Band abgedruckten, zwischen 1949 und 1952 geschriebenen, aus dem Privatarchiv von Tschantladse geretteten Gedichte signalisieren Anzeichen einer un-sowjetischen Poetik. Tsiburias Feststellung, dass Schota der erste Dichter gewesen sei, der „zu seiner Zeit Gedichte in der Ich-Form“ geschrieben habe, findet bereits in „Neue Säufer“ (1949) seine Bestätigung. Die „Neuen Säufer“ lieben in den Kellern Tbilissis bei Weingesängen „den asiatischen Schrei des Herzens“ und ein Ich sehnt sich „nach dem altbekannten Taari“ (Morgenlied zur Begrüßung des Sonnenaufgangs). Noch deutlicher wird dieses Bekenntnis zu einer inneren Freiheit der Persönlichkeit, zu einer Poetik der Morgendämmerung, die die düsteren Schatten einer kleinbürgerlich-sowjetischen Abenddämmerung abwerfen will, in dem „Manifest“ aus dem Jahr 1952. Auch die „Agonie des Körpers- die Todesursache (eine medizinische Symphonie)“ aus dem Jahr 1953 – im Todesjahr Stalins – , der vor allem in seinem Geburtsland Georgien mindestens bis zur ersten offiziellen Enthüllung seiner gigantischen Verbrechen 1956 eine hymnische Verehrung seiner Landsleute erfuhr, ist ein Zeugnis der individuellen Erfahrung der Sterblichkeit des menschlichen Körpers  im Gegensatz zum hohl-pathetischen kollektiven Körper der sowjetischen Propaganda. 1956 dann das befreiende Bekenntnis zum Dichter-Sein: „“ich bin ein Mensch / Ich mag es in einer Blume die Liebe zu sehen.“

Das sicherlich bedeutendste Zeugnis der hier abgedruckten Texte ist das prosaisch-dramatische Poem „Prochor“, nach dem Namen einer der sieben Diakone der Jerusalemer Urgemeinde. Es brachte, so Tsipuria, „ein neues Thema in die georgische Literatur, eine versteckte Kritik am Bolschewismus, ein Bloßstellen des kollektiven Denkens und des Massenbewusstseins. … eine Aufdeckung des russischen Kolonialismus.“ Der Schlosser Prochor, der ein entfremdetes Verhältnis zu seiner Stadt Tbilissi hat, bewegt sich in der Straßenbahn zwischen Wohnstätte und Arbeitsplatz, wird ständig konfrontiert mit russischsprachigen emphatischen Losungen, mit der Angst vor Kontrollen, mit lästigen Aufrufen, seinen jämmerlichen Lohn mit dem betrügerischen Kauf von Lotteriescheinen „aufzubessern“, landet im Krankenhaus. Symptomatisch für die Kritik am russischen Kolonialismus sind dabei die ständig in den georgischen Text eingebauten Versatzstücke, in denen ab und zu –sicherlich beabsichtigt – auch falsche russische grammatische Formen verwendet werden.

Abschließend enthält der Paperback zahlreiche Aufzeichnungen, die den Charakter von Aphorismen, Märchenfragmenten und Epigrammen. Sie zeugen von dem Charakter einer lebensklugen, oft sogar witzigen Persönlichkeit, die sicherlich, wenn er nicht wegen einer Infektion nach einer Blinddarmoperation frühzeitig gestorben wäre, die georgische Literatur der Nach-Stalinära um manch weitere Schätze bereichert hätte. Mit dem hier vorliegenden deutschsprachigen Ausschnitt aus seinem Oeuvre in der Übersetzung von Maja Lisowski ist ein verdienstvoller Einblick in die reichhaltige Nachkriegsliteratur des südkaukasischen Landes geschaffen worden. Mit einer, ungeachtet der Anerkennung der Übersetzer-Leistung, kritischen Anmerkung. Häufige Druckfehler wie auch syntaktische Mängel bremsen da und dort den Lesefluss! Wie schade, denn die gegenwärtig in der deutschsprachigen Literaturlandschaft einzigartige georgische Bibliothek verdient eine hohe Würdigung – auch für den Verleger.

 

 

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Manifest, Gedichte, Prosa, Aufzeichnungen von Schota Tschantladse. Nach einer Auswahl von Dato Barbakadse, mit einem Vorwort von Prof. Dr. Bela Tsipuria. Übersetzung aus dem Georgischen von Maja Lisowski. Ludwigsburg (Pop-Verlag) 2016

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

 

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