Ach, Schlange, sage ich, als wir in der Gelateria Italiana den Frühling an einem der hellen Tische auf dem Bürgersteig feiern, die Welt ist so schön, der Himmel so blau, und ich habe dich ganz fest in mein Herz geschlossen … ich brauche keine Zweitfrau. – Zweitfrau?, sagt Schlange. – Du bist meine einzige, sage ich. – Sieh mal an, sagt Schlange, du hattest andere Frauen neben mir? – Schlange, sage ich, ich bin ein Mann! – Ich weiß, sagt Schlange. – Ein Mann braucht mehr als eine Frau, sage ich. – Ich weiß, sagt Schlange, Bier! – Nein, Schlange, nicht so, sage ich, eine Frau reicht nicht, und Bier ersetzt keine Frau. – Soviel überschüssige Kräfte hast du doch gar nicht, sagt Schlange. – Es geht nicht nur darum, sage ich, ein Mann will erobern, will siegen, verstehst du. – Genügen dir deine Siege bei mir nicht, sagt Schlange. – Doch, sage ich, ich sage ja, ich brauche keine Zweitfrau. – Was willst du mir denn eigentlich sagen, sagt Schlange. – Ich habe das Don-Giovanni-Syndrom überwunden. – So, sagt Schlange, dann gibst du dir bei mir keine Mühe mehr. – Schlange, sage ich, wenn ich eine andere Frau liebe, ist es dir nicht lieb, und wenn ich auf die anderen Frauen dir zuliebe verzichte, ist dir das auch nicht lieb, egal was ich mache, es ist falsch. – So einfach ist der Fall nicht, sagt Schlange, ich finde es gefährlich, dass du dein Don-Juan-Prinzip verloren hast. – Syndrom, sage ich, ich habe das Don-Giovanni-Syndrom besiegt. – Bitte, sagt Schlange, du sagst mir, dass du kein Mann mehr sein willst. – Aber Schlange, sage ich, ich bin doch nicht dann erst ein Mann, wenn ich alle Frauen liebe. – Doch, sagt Schlange, wenn du dein Don-Juan-Prinzip aufgibst, kommt mir das so vor, als wenn du dich – kastrierst. – Dann ist es dir lieber, sage ich, wenn ich wieder auf Frauenjagd gehe? – Ja, sagt Schlange, und nein. – Ah, ich soll nur so tun, als jage ich andere Frauen, sage ich, damit ich für dich begehrenswert bleibe? – Jetzt begreifst du mich, sagt Schlange, du begreifst die Liebe. – Ich soll dich jagen?, sage ich. – Ja, sagt Schlange, du sollst mich immer wieder erobern, Giovanni! – Soll ich das, sage ich, soll ich das wirklich? – Ja, sagt Schlange, ich will deine Zweitfrau sein.
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.