Dein Kopf steht dir im Wege, sagt Schlange. – Ich verstehe mich gut mit meinem Hirn, sage ich. – Warum wirkst du dann so verkrampft?, sagt Schlange. – Ich entwerfe mich selbst, wenn ich mit mir rede, sage ich, ich entwerfe ein Über-Ich über meinem Über-Ich, ein transzendentes Ich sozusagen, oder ein virtuelles, wie du willst, und merke: Indem ich mich so denke, klone ich mich, ohne auseinander zu brechen, denn in mir ist eine Steuerungsinstanz, die alles trennt und zugleich zusammenhält. – Ich sehe, sagt Schlange, wie du dich ausbremst, wenn wir uns umarmen. – Umarme ich dich nicht richtig?, sage ich. – Virtuell, sagt Schlange, du bist so virtuell. – Du spürst mich ganz, sage ich, wenn du mein Gehirn spürst. – Ich will was anderes spüren, sagt Schlange. – Ich auch, sage ich, ich will die totale Liebe! – Worte, sagt Schlange, Worte! – Ohne Worte keine Tat, sage ich. – Ich habe nichts gegen wortlose Taten, sagt Schlange. – So simpel geht es nicht, sage ich, der Schwanz hat de facto seinen Sitz im Hirn, nur de jure zwischen den Beinen. – Du spinnst ja vollkommen, sagt Schlange. – Die bedeutendste erogene Zone ist das Hirn, sage ich. – So ein Quatsch, sagt Schlange, du dringst doch nicht in mein Gehirn ein, wenn wir miteinander schlafen! – Doch, sage ich, du weißt es nur nicht. – Unmöglich, sagt Schlange, zwischen den Beinen habe ich kein Gehirn. – Ja, sage ich, aber da treffen sich unsere Gehirne. – Ich sagte schon, das ist mir zu virtuell. – Was wir das Virtuelle nennen, sage ich, ist in Wahrheit eine ganz reale Kraft. – Dann bist du also immer potent?, sagt Schlange. – Im Prinzip ja, sage ich, die Transzendenz, die ich jederzeit entwerfen kann und die ich spielerisch übersteige, so oft ich will, zeigt klar, wie göttlich ich bin, wenn ich nur will. – Aha, sagt Schlange. – Ich bin immer über meinem Ich, bin Übergott, Gott aller Götter, Schöpfer aller Projektionen, die wahr werden, wenn ich will. – Ich begreife dich langsam, sagt Schlange, so gesehen ist dein Schwanz eine göttliche Kraft. – Ja, sage ich, ich bin Welle und Korpuskel in einem. – Natürlich, sagt Schlange, keine Welle ohne Korpuskel und keine Korpuskel ohne Welle… – Schlange, sage ich, jetzt weiß ich wieder, warum ich dich so liebe. – Du liebst mich mit deinem Kopf, sagt Schlange. – Womit sonst, sage ich, so ist es auch mit dem Verhältnis zwischen Wort und Tat. – Toll, sagt Schlange, was du alles denkst. – Ja, sage ich, ich verstehe mich gut mit meinen Worten, und meine Taten verleugnen mich auch nicht. – Das ist so wunderbar, sagt Schlange, wie deine Worte in mich eindringen – es ist noch viel schöner als die Liebe! – Die totale Liebe, sage ich. – Ich will mit dir zusammen nur noch in Gedanken schlafen!, sagt Schlange. – Komm, Schlange, sage ich, gehen wir denken! – Ja, sagt Schlange, schnell! …
Bin ich nun nicht mehr so verkrampft?, sage ich. – Doch, sagt Schlange, aber genau an der richtigen Stelle!
…
In meinem oder in deinem Hirn?, sage ich. – Sowohl als auch, sagt Schlange, denk nicht so viel! – Ich denke – … Pschschsch!, sagt Schlange. – Ich denke, du willst nur noch denken, sage ich. – Ja, sagt Schlange, aber das geht auch ohne Worte.
…
Die schönsten Worte sind die ungesagten, sage ich. – Ja, sagt Schlange, denk weiter!
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.