Heizhaus

 

Im fensterlosen Raum knacken Rohre klopft die Luft

dreht den Staub in unsre aufgeschlagnen Lungen

in den Kesseln haust der heiße Geist

aus Dampf

 

draußen ist es kalt hier ist es lind

wir legen uns zusammen auf den Boden auf den Bauch

auf die graue Fläche voller Pickel aus Beton

und spielen Wurm

 

wir suchen das Geschlecht von Glut

die von Kohle stammt von abgestorbnem Farn

fest gepresste Innerei

der weiten Welt

 

während die Eisenkessel zischen stöhnen

die Fabrik bewegen fühlen wir

der schwefelhaften Hitze durch die Leitung nach

die abgerichtet durch die Räume schießt

und uns stillt

 

 

***

 

Wir entnehmen diese Leseprobe: Biestmilch, Gedichte von Kerstin Becker, edition Azur, 2016

Kerstin Becker erinnert uns daran, woher wir kommen – weniger im Sinne einer geografischen Heimat als vielmehr im Sinne von Herkunft. ihre kraftvollen Gedichte nehmen uns mit in die Wälder und auf die Äcker, unter die Tische der erwachsenen, in Speisekammern, Molkereien, Dachböden und Kohlenkeller, unter die gestärkten Federbetten der Großeltern, kurz: an all die Orte, an denen Kinder Welt verinnerlichen.
 Was uns am tiefsten prägt, steht in keiner Biografie. Es ist vielmehr das, was wir schmecken, fühlen, riechen, sehen und hören. das, was uns Schmerzen bereitet.
 Und das, was uns Lust bereitet. in Beckers Gedichten verwischen die Grenzen zwischen Mensch und Tier, Härte und Liebe, modernen und vormodernen Zeiten. Biestmilch verschmilzt das erleben dreier Nachkriegsgenerationen zu einem ungeheuerlichen poetischen Sittengemälde.