Im fensterlosen Raum knacken Rohre klopft die Luft
dreht den Staub in unsre aufgeschlagnen Lungen
in den Kesseln haust der heiße Geist
aus Dampf
draußen ist es kalt hier ist es lind
wir legen uns zusammen auf den Boden auf den Bauch
auf die graue Fläche voller Pickel aus Beton
und spielen Wurm
wir suchen das Geschlecht von Glut
die von Kohle stammt von abgestorbnem Farn
fest gepresste Innerei
der weiten Welt
während die Eisenkessel zischen stöhnen
die Fabrik bewegen fühlen wir
der schwefelhaften Hitze durch die Leitung nach
die abgerichtet durch die Räume schießt
und uns stillt
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Wir entnehmen diese Leseprobe: Biestmilch, Gedichte von Kerstin Becker, edition Azur, 2016
Kerstin Becker erinnert uns daran, woher wir kommen – weniger im Sinne einer geografischen Heimat als vielmehr im Sinne von Herkunft. ihre kraftvollen Gedichte nehmen uns mit in die Wälder und auf die Äcker, unter die Tische der erwachsenen, in Speisekammern, Molkereien, Dachböden und Kohlenkeller, unter die gestärkten Federbetten der Großeltern, kurz: an all die Orte, an denen Kinder Welt verinnerlichen. Was uns am tiefsten prägt, steht in keiner Biografie. Es ist vielmehr das, was wir schmecken, fühlen, riechen, sehen und hören. das, was uns Schmerzen bereitet. Und das, was uns Lust bereitet. in Beckers Gedichten verwischen die Grenzen zwischen Mensch und Tier, Härte und Liebe, modernen und vormodernen Zeiten. Biestmilch verschmilzt das erleben dreier Nachkriegsgenerationen zu einem ungeheuerlichen poetischen Sittengemälde.