A Brasileira

Schlange, sage ich, Lissabon ist die schönste Stadt der Welt. – Du bist gerade mal einen Tag hier, sagt Schlange, da kannst du doch noch gar nicht urteilen. – Doch, sage ich, es ist wie mit der  Liebe auf den ersten Blick! – So, sagt Schlange, dann bedeutet dir Lissabon mehr als ich.  – Schlange, sage ich, du bist viel mehr als so eine Stadt, du bist die ganze Welt für mich. – Ich weiß nicht, sagt Schlange, deine Begeisterung für Lissabon ist größer als für mich. – Schlange, sage ich, das täuscht – wir Männer begreifen die Welt eigentlich nur über die Frauen … – Du benutzt mich, sagt Schlange, um Lissabon zu begreifen! – … und die Frauen, sage ich, begreifen die Welt nicht, sie begreifen sich selbst nicht. – Wirklich?, sagt Schlange, dann will ich lieber eine ganz kleine Stadt sein. – Wieso?, sage ich. – Vielleicht begreifst du eine so kleine Stadt ganz unmittelbar! – Ich verstehe, sage ich, du willst meine ungeteilte Liebe. – Ja, sagt Schlange, umso besser verstehe ich mich selbst. – Meinst du das ironisch?, sage ich, oder ist das dein Ernst? – Beides, sagt Schlange.

Schlange, sage ich, du bist die schönste Frau der Welt!

Schöner als jede Stadt?, sagt Schlange.

Ja, sage ich, schöner als Lissabon.

Schöner als das ganze Universum?, sagt Schlange.

Ja, sage ich, schöner als ich.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

Further reading →

Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.

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