Unsere Liebe ist ein wunderbarer Zufall, sage ich. – Quatsch, sagt Schlange, ich habe dich gewählt. – Stimmt nicht, sage ich, ich hatte dich zuerst angeklickt. – Anklicken ist nicht wählen, sagt Schlange. – Wenn ich dich nicht angeklickt hätte, hättest du mich nicht wählen können, sage ich. – Wählen ist mehr als Anklicken, sagt Schlange, das musst du zugeben. – Schlange, sage ich, dass du mich gewählt hast, hatte einen Grund, der deiner Entscheidung vorausging. – Das dachte ich auch, sagt Schlange. – Und?, sage ich. – Was du einen Grund nennst, war eine Projektion meiner Erwartung. – Die ich ausgelöst habe, sage ich. – Nein, sagt Schlange, das ging ohne dich. – Dann hast du dich in deine Projektion verliebt, sage ich, nicht in mich? – Das ist ungefähr dasselbe, sagt Schlange. – Du entwertest unsere Liebe, sage ich. – Wieso?, sagt Schlange. – Weil der reine Zufall entscheidet, wer dich anklickt, sage ich. – Ich habe mich für diesen Zufall entschieden, sagt Schlange, sei froh! – Das ist kein Zufall, sage ich. – Siehst du!, sagt Schlange, das habe ich doch gleich gesagt. – Nein nein, sage ich, ich meine einen anderen Zufall. – Zufall ist Zufall, sagt Schlange. – Ich halte es für ein Wunder, sage ich, dass ich mich in deine Projektion verliebt habe. – Wunder gibt es nicht, sagt Schlange, alles lässt sich erklären. – Ein erklärbares Wunder ist ein Zufall, der die Wahrscheinlichkeit sprengt, sage ich. – Denk bloß nicht, sagt Schlange, dass du ein Wunder bist. – Schlange, sage ich, nicht ich bin ein Wunder, wir sind das Wunder. – Dass ich dich wollte, ist kein Wunder, sagt Schlange. – Stimmt, sage ich. – Sag mal, sagt Schlange, ich hatte dich eben schon widerlegt, reicht dir das nicht? – Nein, sage ich, jede Widerlegung ist für mich eine neue Liebeserklärung. – Ich liebe deine Irrtümer, sagt Schlange, wie mich selbst.
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.