List der Liebe

Das Weib, sage ich, das ist die Schlange. – Redest du mit mir?, sagt Schlange. – Ja, sage ich, Schlange und Weib, das ist ungefähr dasselbe. – Hallo!, sagt Schlange, ich hoffe, du weißt, was du da sagst. – Ich will es dir erklären, sage ich, die Vertreibung aus dem Paradies ist die Leistung der Frau, ein Fortschritt, den sie dem Mann als homo faber aufbürdete. – Im Gegensatz dazu, sagt Schlange, ist der Versuch der Rückkehr ins Paradies das Versagen des Mannes. – Wieso?, sage ich. – Weil er die eigentliche Menschwerdung, also die Mündigkeit, wieder zurücknehmen will. – Vielleicht ist es so, sage ich, Mann und Frau ergänzen sich eben in unüberbrückbaren Gegensätzen. – Unsinn, sagt Schlange, die Bewusstwerdung vieler Männer, vielleicht fast aller, hält nicht Schritt mit der der Frauen; eines Tages, wenn Frauen ihr Wissen und ihr Bewusstsein umsetzen wie die Lysistrate des Aristophanes, wird es ernst. – Vielleicht, sage ich, ist die Emanzipation der Frau die List der Geschichte, die auch den Mann zur Emanzipation zwingt, das ist die Voraussetzung für die eigentliche Ergänzung der Geschlechter und Geburt der kollektiven Vernunft. – Ich weiß nicht, sagt Schlange, die Bewegung der Frau darf sich nicht an männliche Begriffe anlehnen. – Vollkommen klar, sage ich, weißt du, ich befürchte, dass bald viele Männer saublöd dastehen, wenn die freie Frau sie in den Schatten stellt. – …Ich habe den Verdacht, sagt Schlange, du redest mir nach dem Mund, weil du mich erobern willst. – Ich meine es ernst!, sage ich, ich gehe davon aus, dass die Frauen, wenn wir Männer uns anstrengen, gezwungen sind, uns wieder einzuholen, das ist das Gesetz der Dialektik. – Ach was, sagt Schlange, du spekulierst in deinem Werben nur auf mein Entgegenkommen. – Sieh es, wie du willst, sage ich, ich handle im Interesse unserer gemeinsamen Rauschphase. – Du willst nur das eine, sagt Schlange. – Das eine, sage ich, ist geeignet, das andere zu fördern. – Ich seh’s umgekehrt, sagt Schlange, die Emanzipation des Mannes steigert die gegenseitige Liebe. – Meinst du, sage ich, unsere Rauschphase dauert dann ewig? – Ja, sagt Schlange, das ist die List der Gleichheit. – Nicht die Dialektik der Liebe?, sage ich. – Das ist mir egal, sagt Schlange. – Schlange, sage ich, du hast gewonnen. – Jetzt denkst du, du hast mich rumgekriegt, sagt Schlange. – Nein, Schlange, sage ich, ich glaube nur an die List deiner Liebe!

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.