Sevilla 11.4.2009
Schlange, sage ich, soll ich dir sagen, was mir jetzt absolut klar ist? – Sag es lieber nicht, sagt Schlange. – Es ist nichts Schlimmes, sage ich, aber ich will es loswerden. – Dann ist es nicht bedeutend, sagt Schlange. – Ach doch, sage ich, ich habe nicht nur eine Frau, sondern auch eine Geliebte. – So, sagt Schlange. – Ja, sage ich, du bist meine Frau, meine einzige Geliebte. – Aha, sagt Schlange, und was willst du mir damit sagen? – Ich denke an Pedro den Grausamen, den König von Sevilla, und Maria de Padillas, seine Geliebte, für die er seine Frau verließ. – Aber hallo!, sagt Schlange. – Er blieb seiner Geliebten treu bis zum Tod, sage ich. – Was hat das mit dir und mir zu tun?, sagt Schlange. – Pedro el Cruel erinnert mich an meine frühere Stärke, als ich jede Frau bekam, die ich wollte, sage ich, aber jetzt werde ich alt. – Ach was, sagt Schlange, du kannst nicht alt sein, solange ich dich jung mache. – Ich weiß nicht, sage ich. – Und, sagt Schlange, du bist so lange mein Mann, wie du mein Geliebter bist. – Schlange, sage ich, dann müssen wir uns vor jeder Nacht trennen. – Nein, sagt Schlange, heirate mich einfach jeden Tag aufs Neue!
***
Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.