Nach 9/11 gab es die erwähnte Superheldenrenaissance. Außerdem kamen plötzlich aber auch die Zombies wieder angekrochen, diese Allegorie für die Angst vor der Masse. Die erlebten ihre erste Blütezeit in den Sechzigerjahren, als der weiße Mann plötzlich Angst vor der Straße hatte, vor hungrigen schwarzen Massen, die marodierend in die sauberen Vororte eindringen. Es gibt da diese Figur in “Night of the Living Dead”, die sich aus Angst vor den Zombies total zurückzieht, erst in sein Haus, dann in seinen Keller, wo er glaubt, endlich sicher zu sein. Aber die Zombies kommen dann natürlich aus dem Dunkel seines Kellers und nehmen ihn auseinander. Das wurde nach 9/11 alles reaktiviert. Nur dass die Zombies in unseren Kellern jetzt die Araber und Mexikaner sind.
Der 1964 in Sarajevo geborene bosnische Schriftsteller, mit seiner Wahlheimat Chicago, hat seit einigen Jahren in der amerikanischen und europäischen literarischen Öffentlichkeit ein hohes Ansehen errungen. Spätestens seit seinem 2009 im Knaus Verlag erschienenem Roman „Lazarus“ zeichnet sich in den Sujets seiner Erzählungen und Romane ein besonderes Merkmal ab: seine Protagonisten stammen oft aus dem südosteuropäischen Kulturkreis und entwickeln nach ihrer Einwanderung in die USA ein eigenwillig kritisches Verhältnis zur bizarren Massenkultur eines Vielvölkerstaates. Bereits die beiden Eingangszitate des voluminösen Romans signalisieren zwei scheinbar unüberbrückbare Gegensätze zwischen einem aus der frühen Neuzeit rührenden streng logischen ethischen System aus der Feder des in den Niederlanden aufgewachsenen sephardischen Gelehrten Baruch de Spinoza (1632-1677) und George W. Bush, dem zwischen 2001 bis 2009 amtierenden 43. Präsidenten der USA. Der eine beruft sich auf den Geist, der „solange der Körper dauert, sich etwas vorstellen“ kann, während der andere das schwelend Böse beschwört, das in uns wabert, stets auf der Lauer nach jenen, von denen wir nicht wissen, wer sie sind. Und wer sie sein könnten, das versucht Hemons Protagonist Joshua in seinen vielen Skripten zu entwerfen, die er irgendwann zu dem Drehbuch „Zombie Wars – Krieg der Untoten“ zusammenstellen möchte. Doch damit nicht genug! Neben diesen hastig aufgeschriebenen Skizzen, in denen Fleisch fressende Zombies urplötzlich in soliden gesellschaftlichen Milieus auftauchen und die noch Lebenden von wildem Gebrüll begleitet zerfleischen, sind es regelmäßig in die Texthandlung eingeschobene Monstergeschichten, in denen ein gewisser Major Klopstock in Begleitung von Polizisten auf Zombie-Jagd geht.
Eine solche Masse von Blut und Fleischfetzen würde selbst hart gesottene Leser abschrecken, wenn es nicht einen breit gefächerten sozialen Handlungsstrang mit raffinierten Beschreibungen der Personen und Szenen gäbe. Da ist Joshua Levin aus einer wohlsituierten jüdisch-amerikanischen Familie, der seine Brötchen als Englisch-Lektor für Immigranten verdient, seine stinkreichen Eltern in der Gestalt von Janet, einer leicht durchgedrehten Maklerin und Bernie, der sich mit seinem Prostata-Leiden quält, seine Wochenend-Geliebte Kimmy, eine Psychotherapeutin, sein Vermieter Stagger, ein eben aus der Army entlassener, psychisch angeschlagener Raufbold, seine Kumpels aus dem Kursus für Drehbuch-Autoren und die neuen Bekannten. Es sind aus Bosnien stammende Immigranten, die Joshua in seiner beruflichen Tätigkeit als Sprachenvermittler mit ihrer problembeladenen Integration und ihren familiären Querelen beschäftigen. Vor allem wenn es um die schöne Ana geht, in die sich Joshua verliebt. Doch nun nehmen die Verwicklungen ihren ungehemmten Lauf, denn Ana ist mit dem eifersüchtigen Esko verheiratet, einem psychisch schwer geschädigten ehemaligen Soldaten der bosnischen Armee. Und dieses Muskelpaket kann weder die anderen noch sich selbst ausstehen, mit erheblichen Folgen für diejenigen, die Joshua zu Hilfe heilen.
Und durch diese wüsten Handlungsstränge führt der Autor seinen Leser mit immer neuen, überraschenden Wendungen bis zu den abschließenden Höhepunkten des vielschichtigen Romans. Es ist das Seder-Mahl am Vorabend des Pessah-Festes, an dem die gesamte jüdische Familie in Erinnerung an den in der Bibel bezeugten Auszug nach Ägypten feiert. Die Anwesenden kennen sich nur noch fragmentarisch in der Überlieferung der Rituale aus, zweifeln an deren Bewahrung. Der zweite abschließende Handlungsstrang kulminiert in der Begegnung zwischen Major K(lopstock) und Jack (the Ripper), die in einem gigantischen Gefängnishof auf eine wabernde Zombie-Schar im Innenhof schauen. Beide wissen jetzt: der Körper überlebt die Seele und das hungrige Heer der Untoten wartet nur auf den Augenblick, wenn sich die Gefängnistore öffnen …
Es ist ein genialer narrativer Schachzug, der darin besteht, dass die amerikanische Massengesellschaft mit all ihren Ängsten, Verrücktheiten und psychotischen Handlungsträgern in ihrem Zwiespalt zwischen Fremdenhass und bemühter Bewahrung von deformierten Ritualen ungeschminkt und rhetorisch überzeugend erfasst wird. Besonders auffällig ist dabei die Entblößung der phallisch überladenen Szenensprache, in der Objekte, Aktivitäten und Gefühle auf sexistisch-gewalttätige Wunschhandlungen übertragen und zugleich einer lakonisch-zynischen Bewertung ausgesetzt werden. Aus dieser Gleichzeitigkeit entwickelt sich eine spannungsgeladene, ereignisreiche Handlung, in der sich mehrere fiktionale Stränge überlagern und sich mischen. Phantasiewelten, Projektionen einer pathologisch gestörten Gesellschaft, in soziale Konfliktfelder so einzubetten, dass der Leser ständig zwischen Gelächter und Schauder schwankt – wem gelingt noch eine solche tief gehende Gesellschaftsanalyse mit literarischen Mitteln? Aleksandar Hemon hat mit diesem von André Mumot glänzend übersetzten Roman ein Meisterwerk der post-avantgardistischen Erzählkunst vorgelegt, an dem sich die vergleichende Narrativik und transkulturelle Forschung abarbeiten wird.
Wenn in den Erinnerungen, im Gedenken und in der Geschichte kein Platz dafür ist, kehren die untoten Ideen in die Gegenwart zurück.
George A. Romero
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Auch im Werk von A.J. Weigoni herrscht ein Gedränge der Untoten, er exorziert damit seine Zeitgenossen. “Diese Erzählungen haben keine Vampirzähne, Biss haben diese Zombies allemal. Sprachlich auf das Wesentliche reduziert, Erzählungen, die ihrem Namen gerecht werden.” Die Kunst der Erzählung liegt oft im Detail. Hier ist auf die verführerischste Art gemischt, was alle Welt am nötigsten hat, die drei grossen Stimulantia der Erschöpften, das Brutale, das Künstliche und das Idiotische. Diese Erzählungen sind voller Humor und streckenweise so schwarz, daß sie unter der Kohlenkiste noch einen Schatten werfen würden.
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- Zombie Wars. Roman von Aleksandar Hemon. Aus dem Amerikanischen von André Mumot. München (Knaus) 2016.
- Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.
Erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
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