Liebst du mich?, fragt Schlange. – Ich denke nach, mir fällt nichts ein. Sie kennt mich doch so viele Jahre, und immer wieder diese eine Frage! Natürlich liebe ich dich!, sage ich. Aber sie ist mit meiner Antwort nicht zufrieden. Das sagst du nur, damit du deine Ruhe hast, sagt Schlange. – Nein, sage ich, ich liebe dich wirklich. – Du kennst mich doch gar nicht, sagt sie, das merke ich immer wieder. Du vergisst alles, was mich interessiert, du hast meine Termine nicht im Kopf. Du denkst kaum noch an mich, und du irrst dich andauernd in mir.
Das ist doch ganz normal, sage ich. Du änderst dich im Laufe der Jahre, und ich ändere mich auch, da ist es kein Wunder, wenn ich mich ab und zu vertue. Irrst du dich denn nie in mir? – Nein, sagt Schlange, ich kenne dich. Du kannst dich ändern, wie du willst, ich kenne dich durch und durch. Schlange dreht sich um und schaut zum Fenster hinaus. Du hast mich nie geliebt, das weiß ich jetzt. – Ich weiß nicht, sage ich. Weißt du, wenn ich ich bin, weil ich ich bin, und wenn du du bist, weil du du bist, bin ich ich und du bist du … – Sag mal, willst du mich verarschen, natürlich bist du du und ich bin ich. Schlange dreht sich um zu mir und schießt mich mit den Augen ab.
Ich bleibe fest und rede ernst und ruhig weiter: … Wenn ich aber ich bin, weil du du bist, und wenn du du bist, weil ich ich bin, dann bin ich nicht ich und du nicht du. – Ach so!, sagt Schlange, das ist es! Du willst dich nicht über mich definieren, du liebst mich nicht, das sehe ich immer deutlicher, du liebst nur dich! – Das stimmt nicht, sage ich. Überleg mal, wenn ich mich nicht liebe, kann ich dich auch nicht lieben. – Wie bitte?, sagt Schlange. Sie schaut mich nicht an, sie sieht zum Fenster hinaus. Ihr Körper schweigt, sie wartet auf Antwort. – Du lässt mir nicht meine Freiheit, sage ich. Ich stehe hinter ihr, ich sehe ihren wartenden Körper. Du liebst mich nicht.
Sie schweigt. Langsam dreht sie halb den Kopf zu mir. Du brauchst mich also nur für deine Selbstliebe, sagt sie. Du hast mich nie geliebt! – Ja, sage ich, ich brauche dich. – Du sollst mich lieben!, sagt Schlange. – Mir wäre lieb, sag ich, du brauchst mich auch, dann liebst du mich wirklich. – Du drehst ja einfach den Spieß um, sagt sie, so sehr denkst du nur an dich!
Nein, sage ich. Ich will dein Bestes, ich will, dass du dich liebst, wie ich. – Na klar, sagt Schlange, damit du dich noch besser lieben kannst, damit du mich nicht lieben musst! Ich durchschaue dich immer besser. – Weißt du, sage ich, ich bin in meiner Liebe zu dir erst frei, wenn ich mich selber lieben kann.
Schlange schaut wieder nach vorn, zum Fenster hinaus, ihr Körper wartet mit verschränkten Armen. Versuchs doch mal andersrum, sagt sie, vielleicht liebst du dich selbst viel mehr, wenn du einen andern lieben kannst. – Das habe ich schon mit dir versucht, sage ich. Es ging nicht gut, das weißt du doch auch. – Ach, sagt Schlange, dann bin ich schuld an deinem Scheitern? – Das will ich nicht sagen, sage ich. – Das denkst du aber, sagt sie, du willst nur einen Grund um dich von mir zu trennen. – Ach was!, sage ich, du hast mich doch schon längst verlassen.
Schlange dreht sich um, sie schaut mich an, die Augen suchen mich. Das ist ja absurd!, sagt sie. – Ja, sage ich, wir fangen langsam an uns besser zu verstehen. – Aber jetzt, sagt sie, ist es zu spät. – Nein, sage ich, das ist der beste Moment! – Das sagst du immer, sagt Schlange, und immer wieder fall ich auf dich rein! Sie fällt mir in die Arme, ich fange sie auf, ich drücke sie an mich, küsse ihre Stirn, ihren Mund, atme auf. Siehst du, sage ich, wie ich dich liebe?
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.