Gute Nacht, gute Nacht!

Wenn ich gleich einschlafe, sagt Schlange, bin ich dann nicht mehr da, oder bist du nicht mehr da, oder sind wir alle beide weg? – Wenn ich wach bleibe, sage ich, bin ich da, aber du siehst mich nicht, und du siehst dich selbst nicht, für dich sind wir alle beide weg, aber das merkst du nicht, und du wirst deswegen nicht traurig werden. – Und wo bin ich? – Du bist für mich da und doch nicht richtig da. – Seltsam, sagt Schlange, dann ist das alles eine Frage der Sichtweise? – Ansichtssache, sage ich. Wenn du weg bist, streiten wir uns übrigens nicht. – Wenn du weg bist, sagt Schlange, streite ich mich auch nicht. – Gut, sage ich. – Bist du froh, wenn ich schlafe? – So froh, sage ich, wie wenn ich selbst schlafe. Es muss sein. – Erholst du dich dann von mir?, fragt Schlange. – Wie man’s nimmt, sage ich, ich erhole mich genauso von mir selbst. – Was ist, wenn du auch schläfst? – Wenn ich nachher auch schlafe, sehen wir uns beide nicht, wir sind dann beide weg, sage ich. – Obwohl wir doch für andere noch da sind? – Wenn wir nicht merken, dass wir leben, sind wir tot, sage ich. – Ist das die große Erholung?, fragt Schlange. – Ja, sage ich, schlaf ein! – Gute Nacht. – Lebe wohl, Schlange.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.