Hast du heute schon an Schlange gedacht? Ja, sage ich, ich wollte ihr vorhin eine Postkarte schreiben, aber ich kam nicht dazu. Ich habe die Karte schon gekauft: Ich als Hermes. Aha, du warst also wieder auf deiner Museumsinsel. Wo sonst? Und was hättest du ihr geschrieben, wenn du ihr geschrieben hättest?
Liebe Schlange,
mein Bild (bitte wenden!) fliegt meinen Gedanken zu dir voraus, wie du siehst, als Bote meiner Liebe, die ich dir wieder stehle. Bis bald! Dein
Hermes
Und warum hast du nicht geschrieben? Ich konnte einfach keine Statue auslassen, sage ich, kein Bild, kein Mosaik. Und zurück auf dem Festland, beim Espresso – ? Da war ich erschöpft, und die Kunst, die ich sah, raubte mir alle meine Worte, sage ich. Sowieso schreibe ich, wie gesagt, die schönsten Karten in Gedanken –. Ausrede! Im übrigen, sage ich, die Karte wäre doch gar nicht angekommen. Das stimmt, der Himmel hat kein Postamt. Die Hölle, sage ich, auch nicht.
***
Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.