Schwarz auf Schwarz und Weiß auf Weiß

 

Lieber Arthur,

lieben Dank für deine schöne Kokoschka-Karte, auf der du den grandiosen Gedanken formulierst, wie reich du in deinem Alleinsein bist. Ich wäre der Letzte, der dich kritisierte, wenn du deinen Reichtum vermehrst, indem du deine Selbstgenügsamkeit reduzierst.

Auch ich bin mit mir voll ausgelastet. Ich bin gerade dabei, mein Leben zu ändern: Ich übe das Rückwärtsgehen. Ich will dir auch sagen warum.

Es ist jetzt fast 22 Uhr. Eigentümlich hell strahlt über den Häuserkonturen das Abendlicht der längst untergegangenen Sonne. Die Bäume im Vordergrund sind ganz schwarz – ich denke mir die metaphysischen Perspektiven de Chiricos dazu, blaue Unendlichkeit, die ins Schwarze trifft.

Jetzt ist es 22 Uhr. Vorhin ging ich durch die Abendmilde auf dem nahen Friedhof. Bei den Gräbern dachte ich: Die sind noch nicht für mich. Und jetzt immer noch dieses helle Himmelblau mit schwarzem Rand über dem Dach des fernen Hauses dahinten. Wind geht. Und es tönt. Es rauscht die Erde wie in Träumen… Ach, Arthur, in Gedanken schreibe ich dir noch viel schönere Briefe –

Mein lieber junger Freund,

den Moment für ewig halten können, das Ewige für einen Moment, ist das Recht der Jugend. Der Moment gehört der Liebe, das Ewige der Geschichte. Du bist ein Liebhaber deines Lebens und ich ein schlechter Diplomat meiner Sterblichkeit.

Verdammt jung schlägt die innere Uhr, draußen blättert die Fassade ab. Geblieben ist dieser immerwährende Hunger auf alles und der Ekel vor der Weisheit und diese selbstzerstörerische Eitelkeit bis hin zu polygamischen Sehnsüchten. Aber die Zeit in Arkadien ist nun vorbei.

Auch in deinem Reich geht die Sonne unter. Du kommst mir näher, mein Lieber, auch wenn du rückwärts gehst. Zu zweit werden wir dann doppelt einsam sein.

Arthur

P.S.

Natürlich sind die schönsten Briefe die ungeschriebenen.

 

 

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Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann. KUNO 2017.

Als intensiver Beobachter verfügt Ulrich Bergmann über die Begabung, noch die alltäglichsten Details in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, um etwas über das Leben und die menschlichen Beziehungen zu erzählen. Er nennt seine Kurzprosa ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren in diesem Jahr auf KUNO alle Arthurgeschichten und warnen Sie: Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Toten oder lebenden Toten sind zufällig, rein zufällig, absichtlich zufällig, zufällig absichtlich, rein absichtlich und nichts als die reine Absicht.

Weiterführend → Lesen Sie zu den Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.