Robokratie – Wie Social Bots die Demokratie manipulieren

 

Es gibt viele Menschen, die die Social Media für einen Segen halten. In der Tat schafft es z.B: Facebook, dass Familien, die die Winde des Lebens in alle Ecken der Welt verweht haben, so etwas wie Zusammenhalt organisieren. Auch Skype hilft dabei, dass eine Mutter ihren Sohn, der auf einem Praktikum in den USA ist, per Videotelefonie betreuen und dass ein Vater seine Tochter, die im Rahmen eines sozialen Projekts in Peru Straßenkinder unterrichtet, von Angesicht zu Angesicht coachen kann.

Und natürlich Twitter: Welch ein Fortschritt, der ganze Revolutionen auslösen und Präsidentschaftswahlen entscheiden kann. Jeder kann und darf mitzwitschern. Nie war es einfacher, zu allem und jedem seinen Kurzkommentar abzugeben. Und mit einem klugen oder provokanten oder auch nur lustigen Post Tausende von Followern zu bekommen.

Instagram und Pinterest haben eine neue Art der Bildspeicherung und –kommunikation entstehen lassen. Stars werden in diesen Medien geboren, gemacht und auch vernichtet.

Es gibt andererseits nicht wenige Menschen, die der Ansicht sind, Social Media seien eine Geißel der Menschheit. Das liegt u.a. daran, dass wir uns häufig von ihnen zur Geisel machen lassen und sie für uns überbewerten.

Nun stellt sich die Frage: Wer hat Recht? Man könnte es sich einfach machen, indem man feststellt: beide Seiten. Wer der Ansicht ist, die Wahrheit liege i.d.R. in der Mitte, liegt damit fast immer richtig. Extreme Positionen sind für die Analyse hilfreich, weil sie Klarheit schaffen. Als Problemlösung sind sie aber in der Mehrzahl der Fälle unbrauchbar.

Die Lügenpresse und Social Media

Die Geschwindigkeit und die Tiefe der Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung sind ohne Facebook und Twitter nicht zu erklären. Was als Mittel begann, sich zu vernetzen und mit einander auszutauschen, ist zur Gegenöffentlichkeit gereift, in der über lange Zeiträume ohne jedes Eingreifen Mobbing, üble Nachrede, Falschbehauptungen, Morddrohungen und Beleidigungen ebenso wenig gestoppt wurden wie das Verwenden von Nazi-Symbolen und –Begrifflichkeiten oder der Aufruf zum Terror.

Gezielte Fehlinformationen, gefakte Zitatzuschreibungen – in Facebook scheint man vor nichts wirklich sicher zu sein. Hoaxes und Gerüchte verteilen sich in Windeseile, bis am Ende der Urheber, der sich zugleich noch unter einem Avatar oder Nick anonymisiert hat, nicht mehr erkennbar wird.

Durch das Klischee der Lügenpresse ist mit Facebook und Twitter eine Gegenöffentlichkeit entstanden, in der sich Falschangaben, gezielt gestreute Gerüchte, getürkte Bilder und Hoaxes resonanzartig verstärken. Über die Social Media Kanäle finden manche dieser Fakes sogar Eintritt in die „wirkliche“ Nachrichtenwelt.

Nachdem für viele vor allem jüngere Menschen die Social Media die einzig akzeptierte Informationsquelle sind, drängen auch die sog. „alten“ Medien mit ihrer Berichterstattung in diese Räume vor. Aus Geldgründen sind heute vielfach die gleichen Redakteure in ihren Sparten oder Regionen für alle Nachrichtenkanäle zuständig, d.h., sie berichten quasi zeitgleich und kanalmäßig abgeschmeckt im „alten“ Medium (Rundfunk, Fernsehen, Zeitung) sowie in den „neuen“ Social Media Kanälen (Facebook, Twitter, Internet und zumeist Youtube). Durch diese Vorgehensweise werden die Kanäle als Informationsmedium gleichwertig, und zugleich entstehen die Übergänge, die es den Fakes der Social Media ermöglichen, die Übergang in die „alte“ Welt zu schaffen.

Wir haben nach und nach erfahren dürfen, dass nirgends so viel gelogen und gefälscht wird wie in den sog. neuen Medien und dass das dort zuerst ohne und heute immer noch ohne wirksame Kontrolle geschieht. Facebook, Twitter und Youtube kennen wahrscheinlich den Deutsche Presserat nicht einmal.

Nun ist das nicht weiter verwunderlich. Menschliche Kommunikation ist durchaus nicht ethisch und moralisch hochwertig. Weder waren der Pranger eine zivilisatorische Errungenschaft noch die Lynchjustiz, der Scheiterhaufen oder die Hexenverbrennung herausragende Fortschritte der Rechtssetzung bzw. -sprechung. Wer sich mit den Social Media beschäftigt, wird viele Ereignisse finden, die interessante Parallelen zu diesen Glanzstücken der Menschheitsgeschichte aufweisen (Shitstorm und Co. lassen grüßen).

Die Gegenöffentlichkeit der Social Media ist eine Tatsache, mit deren Existenz wir uns abfinden und beschäftigen müssen. Sie ist sozusagen die Kehrseite der schönen Welt der Neuen Medien.

Wenn Splatter und Fakebook den Turbo einschalten

Man sollte meinen, dass diese Zustandsbeschreibung eigentlich ernüchternd genug ist. Aber wie so häufig ist damit aber nur ein kleiner Teil der Fragestellung beschrieben.

Zuerst haben wir zusätzlich gelernt, dass z.B. in Sankt Petersburg ganze Heerscharen intelligenter und gut ausgebildeter junger Menschen für Mütterchen Russland Internet- und Social Media Trolle abgeben. Sie werden dafür überdurchschnittlich gut entlohnt, und Geld stinkt bekanntlich nicht, schon gar nicht in einem Land, in dem es nicht gerade einfach ist, einen gut bezahlten Job zu bekommen. Inzwischen werden immer wieder Diskussionen unter Berichten geschlossen bzw. bei bestimmten Themen gar nicht erst zugelassen.

Nebenbei werden über gefakte Internet- und Social Accounts gezielte Falschinformationen publiziert mit dem Ziel, auf die politische Meinungsbildung in den jeweiligen Zielöffentlichkeiten Einfluss zu nehmen. Nun ist ja nicht ganz unbekannt, dass schon seit einiger Zeit spezialisierte Agenturen Social Media Agenturen die entsprechenden Präsenzen von Unternehmen, Institutionen, Vereinigungen und der sog. „Celebrities“ professionell betreuen. Zu ihren Aufgaben gehört das Aufrechterhalten eines entsprechenden Images.

Bisher hat man geglaubt, man habe es in der Regel mit Menschen zu tun, wenn man sich in Social Media Sphären bewege. Spätestens seit der Präsidentschaftswahl in den USA wissen alle Interessierten, dass es sich dabei um eine fatale Fehleinschätzung der Sachlage handelt.

Nun wäre es wahrlich ein Wunder gewesen, wenn die Idee der Robots, die Computernetzwerke fernsteuern und Webseiten crawlen, Google-Klicks produzieren und andere mehr oder minder gesetzestreue bzw. legale Dinge in und mit dem Internet anstellen, an den Social Media vorbeiginge. Seit der Nachricht, dass ca. 60% der Likes bei Trump und Hillary durch sog. Social Bots erstellt wurden, ist klar, dass die Büchse der Pandora längst offen ist.

Das Drama an der Geschichte ist, dass die Social Bots inzwischen so „schlau“ geworden sind, dass eine ganze Herde von Fake Accounts sich sozusagen komplette Biografien und entsprechend komplexe Identitäten verschafft, dass es zunehmend schwerer wird, die Bots in ihrem Verhalten von „echten“ Teilnehmern zu unterscheiden. Auf diese Weise können ganze Chatdialoge vollautomatisch erzeugt werden. Durch das Vermischen von echten und „gefakten“ Dialogbestandteilen ist am Ende der Einfluss der „Maschinen“, die im Interesse ganz bestimmter Auftraggeber und in deren Auftrag tätig werden, kaum mehr erkenn- und nachweisbar.

Es ist nicht auszudenken, was diese Entwicklung auf die demokratische Willensbildung für einen Einfluss haben könnte. Die aktuelle Debatte darüber ist leider eher leise und schürft bei weitem nicht tief gut genug.

Ein Nachbrenner gefällig?

Wir haben sicherlich alle viel über Big Data gehört und stellen uns die Frage, warum ausgerechnet dieses Verfahren der Kundenprofilierung hier eine Rolle spielt. Eigentlich ist das ganz einfach zu erklären.

Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, ist im Internet und in den Social Media ebenso wenig etwas umsonst, wie das bei sog. „Free Smartphone Apps“ der Fall ist. Information ist eine harte Währung, insbesondere, wenn es darum geht, das Verhalten eines Menschen, der eben auch ein potentieller Kunde ist, besser berechenbar zu machen. Wenn dieser dann noch so nett und freundlich ist, die vielen Gewinnspiele, hinter denen sich Interviews verbergen, die Vorlieben und Ansichten der Teilnehmer ermitteln sollen, wahrheitsgetreu zu beantworten und in Erwartung des Amazon-Gutscheins mit persönlichen Daten zu versehen, dann hat man die halbe Miete, um ein exaktes Personenprofil zu erstellen.

Glaubt man den Auguren, dann haben die Wahlkampfmanager von Herrn Trump dieses Verfahren erstmals erfolgreich angewandt: Sie haben mit Big Data Methoden Wählerprofile ermittelt, in Gruppen eingeteilt und diese gezielt mit Informationen und Meinungen eingedeckt. Ganz besonders spannend wird das dann, wenn man Bots mit Big Data kombiniert.

Auf diese Weise wären interessierte Kreise in der Lage, zielgenau in den Social Media mit politischen Botschaften potentielle Wähler anzusprechen und zwar massenweise über sog. „Social Bots“, die – entsprechend maskiert – ihnen als „echte“ Menschen gegenüberträten, also glaubwürdige Vertreter dieser Botschaften wären, mit denen sogar ein „Dialog“ möglich wäre. Wem angesichts dieses Szenarios nicht etwa eiskalt den Rücken hinunterläuft, der ist geradezu bewunderungswürdig abgebrüht.

Ein neues Dieselgate gefällig?

Vor nicht allzu langer Zeit und immer noch erregen das Dieselgate und seine Weiterungen die Gemüter. Es wäre schön, wenn Aleppo das ebenso täte. Noch viele schöner wäre, wenn die Gefährdung der öffentlichen Meinungsbildung durch die mangelnde Überwachung und Regelung der Social Media endlich den Platz auf der Agenda der Erregungsdebatten unserer Gegenwart bekämen, der ihnen von der Flächenwirkung her zustünde. Es könnte anderenfalls sein, dass wir unseren Augen bald nicht mehr trauen.

Es könnte dann jedoch eventuell bereits zu spät für die Erkenntnis sein, dass eine keinen größeren und besseren Raum dafür gibt, Lügen zu erzeugen und zu verbreiten als die Social Media. Und dass es mehr als gut begründet ist, warum der Autor dieses Beitrags Twitter in Splatter und Facebook in Fakebook umbenannt hat.

Die bewusste „Lügenpresse“ ist nämlich nur ein Sandkasten dagegen, in dem ein paar weltfremde Glückskinder mit Bauklötzchen spielen.

 

 

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Porträt Walter Stonet von Thomas Kiel

Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten – wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist. Walther Stonet war Lyrikredakteur und Rezensent der Literaturzeitschrift Asphaltspuren von 2003 bis 2015 (23 Ausgaben). Seit 2008 ist er Herausgeber der Reihe „Walthers Anthologie der Internet-Lyrik“. Inzwischen sind fast 50 Gedichte besprochen. Seit August 2015 fungiert er als Herausgeber von „zugetextet.com – Feuilleton für Poesie-Sprache-Streit-Kultur“, einem Magazin-Blog neuen Stils.