Ich sah, sagt Arthur, gestern ein junges Weib mit einer kleinen Aster im weißen Ausschnitt. Der Duft klingt mir noch im Ohr, ich fühle unter meiner Stirn, wie die Blütenblätter wippen. Eine weiße Blume auf weißer Haut!, dachte ich die ganze Zeit, als der Vorhang im Theater wieder aufgegangen war.
Du hast das ganze Schauspiel, sage ich, verpasst.
Meine Vorstellung, sagt Arthur, verdoppelte sich nur, nun sah ich die kleine Aster auf der Bühne und fühlte den weißen Leib direkt neben mir.
Und wie gingen deine Vorstellungen aus?
Ich fand kein Ende, sagt Arthur, während ich nachdachte, warum die Frauen sich mit toten Blumen so gern unterhalten.
Sie lieben eben, sage ich, die Schönheit wie die Natur.
Ist die Schönheit, sagt Arthur, erst schön, wenn sie stirbt?
Die Schönheit der kleinen Aster, frage ich, oder die Schönheit der Frau?
Ich denke, sagt Arthur, die Frauen finden sich schön im Spiegel der Blume, die sterbende Blüte hebt das Leben der Frau, mit dem sie sich unterhält, hervor.
Dann liebt sie nur sich selbst?
Im Dialog, sagt Arthur, mit der sterbenden Blüte auf der Haut spricht sie in Wahrheit mit dem Mann, den sie will.
Will sie etwa noch einen Spiegel?
Ja, natürlich, sagt Arthur, der Mann ist die große Aster.
Der große Spiegel?, sage ich.
Ja, sagt Arthur, du sagst es. Von Blüte zu Blüte sagt sie carpe diem, und dann sieht sie zu, wie ihr Monolog in ihrem neuen Spiegel stirbt.
Und das findet sie schön?
Du etwa nicht?, sagt Arthur.
Der Tod ist nicht schön, sage ich.
Wenn er richtig mit ihr tanzt, sagt Arthur, und wenn sie richtig tanzt mit ihm, verliebt sie sich schnell, und so geht der Tod in immer neuen Tanzliedern in seiner Liebe aus.
Und die kleine Aster?
Tanzt mit!, sagt Arthur, und sie tanzt und trinkt sich satt am weißen Leib. Ich bin der Tod, flüstert sie in die Poren am Hals, ich tanze gern mit dir. Ich tanze gern mit dir, sagt das Weib. Carpe diem, raunt die kleine Aster ihr zu, carpe diem, sagt das weiße Weib, ich bin deine Vase, nun trinke dich satt und wiege mich in helleren Schlaf. Du tanzt sehr gut, sagt er, du singst dich leer, wenn du mich singst, ich trinke dich aus, dann schlafen wir…
Schlafen wir dann, sagt sie, und träumen? Und tanzen wir dann weiter meinen Traum in deinen Traum und deinen Traum in meinen? Wachen wir auf in einem anderen Tanz?, fragt sie sich die ganze Zeit…
Ich kann sie doch nicht sterben lassen, sagt er, ich darf daran im Traum nicht denken, sagt Arthur, sonst bin ich auf der Stelle tot.
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Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann. KUNO 2017.
Als intensiver Beobachter verfügt Ulrich Bergmann über die Begabung, noch die alltäglichsten Details in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, um etwas über das Leben und die menschlichen Beziehungen zu erzählen. Er nennt seine Kurzprosa ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren in diesem Jahr auf KUNO alle Arthurgeschichten und warnen Sie: Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Toten oder lebenden Toten sind zufällig, rein zufällig, absichtlich zufällig, zufällig absichtlich, rein absichtlich und nichts als die reine Absicht.
Weiterführend → Lesen Sie zu den Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.