Dass sich so viele Literaturkritiken auf Inhaltsangaben mit vagen ästhetischen Bemerkungen beschränken, liegt nicht allein an den Kritikern, meinte Jürgen Kiel unlängst auf Tell. Oft liegt es an den Büchern:
Der Literaturbetrieb zwingt Kritiker dazu, permanent Romane zu rezensieren, die aus unterschiedlichen Gründen unterhaltsam, berührend, intellektuell ambitioniert, informativ, verstörend, provozierend etc. sind, jedoch künstlerisch wenig hergeben, weil sie mit der Sprache nichts anstellen. Diese Romane müssen nicht ’schlecht geschrieben‘ sein. … Man liest dann gelegentlich, sie seien ‚handwerklich‘ gut (Signal an den Leser: Erwarte nichts Künstlerisches/keine Kunst!). Das bedeutet natürlich nicht, dass sprachexperimentelle, selbstreferentielle etc. Texte dadurch, dass sie so sind, bereits gelungen wären.
Die aktuelle Lage auf dem Buchmarkt ähnelt der, der untergegangenen Tonträgerbranche. Mit der LP und der CD sind durch das Dateiformat mp3 nicht nur Tonträger marginalisiert worden, sie sind zu Kulturgütern herabgesunken, die nurmehr Kenner interessieren. Ein US-Online-Versandhändler hat mittlerweile ein Gutteil des Buchhandels geschluckt und sich auch als Verleger etabliert. Diese Firma beeinflußt, was ihr Publikum liest, und bald auch, wie in den Schreibkursen geschrieben wird.
Das ist wie virtueller und echter Sex. Jeder weiß, dass echter Sex besser ist, aber für den virtuellen gibt es trotzdem einen großen Markt.
Steve Wasserman, Cheflektor der Yale University Press, über E-Books
Ähnliches ist bei Lesegerätschaften und eBooks zu konstatieren. eBooks riechen nicht, sie sind einfach nur glatt und fühlen sich metallisch kalt an. Die darin eingescannten Texte lassen sich wegwischen. Einen E–Book–Reader kann man nicht ungestraft mit Kaffee überschütten, in die Ecke werfen oder am Strand liegen lassen. Was mich am meisten nervt: Was Typografie bewirkt und wie sie die Lektüre beeinflußt, scheint sich bei E-Book-Produzenten noch nicht herumgesprochen zu haben: Schriftbild und Textgestaltung von elektronischen Büchern schmälern oft das Lesevergnügen. Ein eBook kann das Lesevergnügen rasch zunichte machen, schon wenn man die Schrift etwas vergrößert. Plötzlich finden sich Löcher im Text, Zeilen und Überschriften verrutschen, Umbruch und Silbentrennung lassen die Haare einem zu Berge stehen. Und wenn man Pech hat, lädt jede Seite des eBooks beim Umblättern so lange, bis man den Reader entnervt zur Seite legt. Kurzum, eBooks sind ein Verlust an Sinnlichkeit. Und dies nicht nur ästhetisch.
Wenn Bücher zu ‹Texten› werden, mit denen wir gemäss Nützlichkeitskriterien in ‹Interaktion› treten, wird das geschriebene Wort schlicht zu einem weiteren Aspekt unserer von der Werbung gesteuerten Realität. Das ist die glorreiche Zukunft, die geschaffen wird und uns verheissen wird als etwas ‹Demokratisches›. Es bedeutet natürlich nichts Geringeres als den Tod der Innerlichkeit – und des Buches.
Susan Sontag, Letter to Borges
Ein Buch ist nach traditionellem Verständnis eine Sammlung von bedruckten, beschriebenen, bemalten oder auch leeren Blättern aus Papier. Es ist ein Kulturprodukt, daß die Überwindung der Mündlichkeit zur Voraussetzung hat und die die Entwicklung der geschriebenen Sprache zur Grundlage nimmt. Seine Verwendung als kommunikatives setzt Scheibkompetenz, beziehungsweise Lesefähigkeit und Drucktechnik voraus.
Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Die Künstlerbucher sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421