Was Johannes R. Becher, Viktor Orban, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan gemeinsam haben
Die Freiheit wird bedroht. Menschenrechte wie die Pressefreiheit, die Religionsfreiheit und die Freiheit von Wissenschaft und Kunst stehen ebenso unter Beschuss wie die Freiheit der Meinungsäußerung. Autokraten, Diktatoren und Populisten sind auf dem Vormarsch.
(1) Vom Poeten zum DDR-Minister: Bechers Sündenfall
Johannes R. Becher ist sicherlich einer der großen deutschen Poeten des 20. Jahrhunderts gewesen. Sein Engagement in der KPD führte zu seiner Ausbürgerung im Jahr 1933. 12 lange Jahre dauerte sein Exil im berühmt-berüchtigten Hotel Lux in Moskau. Dort war er ein enges Mitglied der Gruppe Ulbricht und wurde direkt nach dem Krieg in die damalige SBZ geschickt, um das kommunistische Deutschland aufzubauen, das 1949 den Namen DDR erhielt. 40 Jahre später ging dieser schlechte Treppenwitz der Geschichte unter. Was dazwischen geschah, ist nicht unwesentlich auf Bechers Wirken in der Anfangsphase der DDR zurückzuführen.
Seine enge Verbindung mit der DDR lässt sich aus der Tatsache ablesen, dass der Text der Hymne der DDR aus seiner Feder stammt. Während des Exils und danach hat er einige Loblieder auf Stalin verfasst. Höhepunkt seiner DDR-Karriere waren seine Mitgliedschaft im Politbüro der SED und sein Amt als Kulturminister in den Jahren 1954 – 1958. Er hat nach Ablösung vom Ministeramt und vor seinem Tod im Oktober 1958 seine Tätigkeit und Mitwirkung im und für das DDR-Regime durchaus kritisch gesehen. Das ist seiner Schrift „Das poetische Prinzip“ entsprechend dargelegt, die aber erst 1988 veröffentlicht wurde.
Das verringert nicht seine Mitverantwortung für die Zerstörung der Freiheitsrechte in der DDR nach 1949, die zahlreiche Künstler in den Tod, in die Gefängnisse und schließlich in die Ausbürgerung trieb.
Mein Sonett Gewissenlose greift diese Verantwortung auf. Der Künstler bedarf der Freiheit, um schöpferisch und unabhängig tätig sein und sich entfalten zu können. Er, und seine Freiheiten, müssen geschützt werden. Staatliches Handeln und politisches Entscheiden muss in den unveräußerlichen und universellen Menschenrechten seine Grenzen finden. Johannes R. Becher hat diesem ethisch-moralischen Prinzip zuwidergehandelt. Er hat damit große Schuld auf sich geladen.
(2) Vom aufrechten Demokraten zum korrupten Populist: Orbans Sündenfall
Viktor Orban ist für seine eigenwillige Art, Recht und Verfassung zu verstehen, in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit als ungarischer Ministerpräsident durchaus bekannt. Seine Gesellschaftspolitik ist zweifelhaft, seine Flüchtlingspolitik mindestens grenzwertig, die Behandlung der Minderheit der Roma äußerst gewöhnungsbedürftig, um es einmal vorsichtig zu formulieren.
Hinter diesem Handeln steckt politisches Kalkül. Es geht darum, auch um den Preis des Verstoßes gegen die UNO-Menschenrechtscharta, gegen die Charta des Europarats und gegen Geist und Buchstaben der EU-Verträge, in Ungarn wenigstens die absolute Mehrheit an Mandaten, am liebsten aber eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit zu erhalten.
Aus dem Demokraten ist so ein Autokrat geworden, dem der Machterhalt seiner Partei und damit seiner bereits stark korrupten und korrumpierten Entourage den Verbleib an den Mustöpfen über alles geht. Jede Form des Widerstands, und das kann bereits eine privatfinanzierte Universität sein, auf die sein Machtapparat keinen Einfluss hat, wird kujoniert und unterdrückt. Dafür wurde eigens ein Hochschulgesetz verabschiedet, das eindeutig gegen das Prinzip der Wissenschaftsfreiheit verstößt.
Diese Universität wird von einem Auslandsungarn namens Georg Soros finanziert, der als Finanzinvestor durchaus berüchtigt und als Finanzhai kritisiert ist. Orbans Auseinandersetzung mit Soros ist bereits seit langem andauernd. Mit dieser Auseinandersetzung verbindet sich ein latenter Antisemitismus, der im rechten politischen Spektrum Ungarns äußerst bereitwillig bedient wird. Soros entstammt einer ungarischen Intellektuellen Familie mit jüdischen Wurzeln.
Die Bedrohung der Freiheit ist also mitten in Europa angekommen. Wer nach Polen schaut, kann sehen, wie weit diese Bedrohung bereits fortgeschritten ist.
(3) Der Sultan vom Bosporus oder der Sündenfall Erdogans
Anfangen hat Recep Tayyip Erdogan als alerter Bürgermeister Istanbuls. Als demokratisch gewählter Ministerpräsident hat er die Türkei wirtschaftlich nach vorne gebracht und den Zugriff der Armee auf den Staat zurückgedrängt. Sogar die Aussöhnung mit den Kurden schien zu gelingen. Der Eintritt der Türkei in die EU war zum Greifen nah.
Der syrische Bürgerkrieg, die Verstrickung mit dem Islamischen Staat, die Proteste des Gezi-Parks, die Veröffentlichung von Beweisen für die Korruption in der AKP-Führung und der Erdogan-Familie sowie der Verlust einer Parlamentswahl haben dazu geführt, dass Erdogan der Demokratie westlicher Prägung abschwor – erst nur im Geheimen jedoch. Besonders bedroht fühlte und fühlt sich der amtierende türkische Präsident durch die Gülen-Bewegung, ohne deren Hilfe er niemals an die Macht gekommen wäre.
Mit dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016, den Erdogan mit Glück und Geschick überstand, bekam er eine Chance geliefert, gegen seine Gegner massiv vorzugehen. Mit Hilfe des Ausnahmezustands, der perpetuiert verlängert wird, hat der türkische Präsident das Recht, mit Dekreten quasi absolut zu regieren. Zehntausende seiner Gegner sitzen ohne rechtsgültigen Prozess hinter Gittern, hunderttausende Staatsbedienstete wurden entlassen. Die Säuberungen gehen bis in die freie Wirtschaft; so wurden missliebige Unternehmer enteignet und ins Gefängnis gesteckt.
Inzwischen ist die Presse komplett gleichgeschaltet, die ganze Führung der wichtigsten Oppositionspartei sitzt ohne Verfahren im Gefängnis. Über 150 Journalisten, darunter der deutsche Journalist Deniz Yücel, der türkischer Herkunft ist, wurden einfach weggesperrt. Die Verlängerung der Untersuchungshaft auf 6 Monate hat es erreicht, dass die Volksabstimmung über die Verfassungsänderung von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einem autokratischen Präsidialsystem in einem Klima der Angst, der Unterdrückung der Opposition und unter unfairen Bedingungen stattgefunden hat.
Da das Rätsel der 2,5 Millionen ungültigen Stimmzettel bis heute nicht geklärt ist, steht nicht einmal fest, ob die knappe Mehrheit für die Verfassungsänderung überhaupt ordnungsgemäß zustande gekommen ist.
Präsident Erdogan schert das nicht. Als erste Amtshandlung ließ er weitere Oppositionspolitiker verhaften und weitere 4.000 Polizisten entlassen.
(4) Vom Demokraten zum Diktator: Putins Sündenfälle
Bei Putin wollen wir uns auf die Eroberung der Krim und auf den sog. Aufstand im Donezk-Becken beschränken. Wie der russische Präsident mit seinen politischen Gegnern umgeht, ist bekannt. Mit Demokratie und Menschenrechten hat das nichts zu tun, was wir jeden Tag aus Russland hören.
Dramatisch ist etwas anderes: Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg hat ein Staat mit den Mitteln des Kriegs Grenzen verändert und damit die Souveränität eines Nachbarn verletzt. Die sog. „Heimholung der Krim nach Russland“ mag historisch verständlich sein; sie stellt das Ende der Nachkriegsordnung dar, wie wir sie zwischen 1949 und 2014 erlebt. Der Prozess der Beendigung dieser Nachkriegsordnung begann mit der von und aus Russland gesteuerten Separation der Donezk-Region im Februar des Jahres 2014.
In beiden Fällen handelt es sich um einen Bruch des Völkerrechts zum Zweck der innenpolitischen Befriedigung Russlands. Es ist damit zu rechnen, dass der russische Präsident nicht davor zurückschrecken wird, das Muster des Schutzes russischer Bürger auch an anderen Stellen als Rechtfertigung für ein Eingreifen russischer Truppen oder von Russland gesteuerter sog. „Freischärler“ wie im Donezk-Krieg anzuwenden.
Putins Rolle in Syrien ist ebenso schrecklich wie abschreckend; beides ist beabsichtigt. Der Tod hunderter Kinder durch Bomben, Raketen und Giftgas durch die Armee des syrischen Diktators Assad und mit ihr verbundene Milizen sind wohl aus Sicht der russischen Regierung Petitessen, wenn es um das Vorzeigen der eigenen Größe geht. Im syrischen Bürgerkrieg darf der russische Soldat wieder siegen und sterben.
Diese Auseinandersetzungen und Einsätze dienen der Machtsicherung der autokratischen Herrschaft Putins nach innen, der damit eine nationales Euphorie in Russland initiiert hat, die von seinem Versagen in der Wirtschaftspolitik, der zunehmenden Korruption und dem nachlassenden Wohlstand ablenken soll. Russlands Größe zu demonstrieren ist allemal wichtiger als Frieden und Menschenrechte.
(5) Der Kreis schließt sich
Es muss sich jedes dessen bewusst sein, dass Freiheit die Voraussetzung für Frieden ist. Beides lässt sich nicht ohne einander erreichen und sichern.
Die Freiheitsrechte sind universell und unveräußerlich: Sie gelten auch und gerade für den Andersdenkenden. Johannes R. Becher hat als Politiker und Minister gegen diese Freiheitsrechte verstoßen. Dieser Sündenfall beschädigt auch den Poeten Johannes R. Becher – und damit seine Kunst.
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Die Redaktion verlieh Walther Stonet den KUNO-Essaypreis 2017 für den Essay Robokratie – Wie Social Bots die Demokratie manipulieren. Lesen Sie hier die Begründung. Nicht nur KUNO schätzt darüber hinaus seine Fähigkeiten als Lyriker.