die gedichte von ralph pordzik lassen den leser in bildern denken. indem metaphern verschiedener wirklichkeitsundwahrnehmungsbereiche ineinander fließen, entsteht ganz natürlich ein bilderfluß. genauso verbindet die sprache worte unterschiedlicher bedeutungsebenen. dabei wirken pordziks filigrane texte gleichermaßen gebaut und improvisiert, wobei das assoziative improvisieren, das aus konventionen ausbricht und so immer erneut ein reflektierendes, poetisches und verfremdenden denken und empfinden belebt, einem inneren, und beim schreiben vielleicht unbewußten, bauplan folgt. gebaut heißt hier nicht konstruiert. vielmehr gibt er den ambivalenzen und der reizüberflutung der wirklichkeit eine struktur. das erste kapitel »Die Räumung der Welt« thematisiert flüchtlinge und fluchten. wer zuviel räumt, schafft am ende dennoch keine ordnung. in »Feldpostgedicht« heißt es: »unser Herz ist eins mit dem Wort / nur wenn beide zerrissen sind«.
der autor, 1966 geboren und professor für literatur an der universität würzburg, der auch mythen vor allem wegen ihrer details aufruft, läßt, um das wesentliche zu benennen, konkretes sprechen. so ist wohl das zitat von roland barthes am anfang des bandes zu verstehen: »Es wird weder von Kunst noch von Folklore noch selbst von Zivilisation die Rede sein. Von der Stadt, von dem Geschäft, dem Theater, der Höflichkeit, den Gärten, der Gewalt wird die Rede sein; von einigen Gesten, einigen Nahrungsmitteln, einigen Gedichten, es wird die Rede sein von Gesichtern, Augen und Pinselstrichen, mit denen dies alles geschrieben, aber nicht gemalt werden kann.« tatsächlich spricht pordzik auch von zivilisation und kunst, doch durch die konkreten dinge, und deren mythen, hindurch gesehen.
in seiner literaturwissenschaftlichen arbeit beschäftigt sich ralph pordzik vor allem mit englischsprachiger literatur. seine gedichte sind dem gegenüber spürbar autonom. vermutlich kennt er den satz von roland barthes »Die Wissenschaft von der Literatur ist die Literatur.« mitunter begegnet der leser im band »Mit deutschen Untertiteln« südeuropäischen bilderwelten. im tonfall vernimmt man ebenfalls anklänge italienischer oder griechischer lyriker. ebenso scheint der orient, das fundament europas, wiederholt durch, und zwar geographisch wie kulturgeschichtlich. doch auch nördlichere städte und landschaften werden hier oft vom sonnenlicht durchflutet.
die sinnlichkeit der lyrik von pordzik wirkt teils mediterran, freilich mitteleuropäisch reflektiert. durch manche dieser texte, die geist und emotion, privaterleben und weltprobleme, kultiviertheit und bedrohung, feine reflexion und dekadenz mischen, weht ein hauch vom »Tod in Venedig«. wir finden einerseits eine warm atmende sinnesfreude und zugleich das kühle betrachten. die verschmelzung von scheinbar unvereinbarem ist eines der merkmale substantieller literatur und kunst. man spürt beim lesen eine natürlich gewachsene bildung. indem der historische blick den gegenwärtigen enthält und umgekehrt, erscheint leben bei pordzik bisweilen wie ein gang durch ausstellungen mit jahrtausende alten exponaten.
eines der besten gedichte ist für mich »Selbstbildnis mit Folgesatz«: »Streich’ mit deiner Stirn / nochmal über mein Deuten, / tritt ein in meinen Wall, / meinen Koran, / ich lasse dich gewähren, / nehm’ dich auf / statt aller Sterne. / Was hält dich aufrecht / und gefangen, du – / aus Satyrspiel und bangem / Ernst Verbannte? / Die Nacht als Perspektiv, / in Mäuler übersetzt / und kaltgestellt serviert / Gewölk und Grimm, / mit salziger Kamille nachgespült? / Wie Silben schielen Autos / zornig im Verkehr vorbei, / du mittendrin – / Atem legt sich um dich, / Schnee wirft sich drüber, / fährt dir ins Gesicht / und drüber hinaus: / Du siehst ohne Augen, / ohne zu träumen, / den Grund.«
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Mit deutschen Untertiteln. Gedichte von Ralph Pordzik, Les Derniers Jours, 2017
Weiterführend →
Bereits von seinem ersten Band Verabredung mit meinem Publikum war KUNO angetan.
→ Auf KUNO lesen Sie auch einen Rezensionsessay von Holger Benkel über Ralph Pordzik
→ Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.