‚Nur wo man streitet, lebt man friedlich zusammen!‘

Jede gute Beziehung lebt vom Dissenz – das gilt vor allem für das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.

Es sind die steten Mahner der Konventionen, die die Borsten der künstlerischen Praxis in Form bringen – die Formen heissen, Widerstand, Demonstration – und auch Protest. Er gehört zur menschlichen Evolution – als Modell der Ablösung des Heranwachsenden vom ‚Elternhaus‘ und damit einher geht die Infragestellung aller gesellschaftlich verabredeter Werte. Doch bei jeder Rebellion bewegt sich auch die Mehrheitsgesellschaft ein Stück weiter, normalerweise.  Im Jahr 2013 kuratierte Peter Weibel am ZKM in Karlsruhe die Ausstellung ‚global activism’ die der weltweiten Bewegung des künstlerischen Protestes eine Klammer gab und somit als bedeutsames Phänomen beobachtbar wurde – neben Pussy Riot, Oliver Ressler, Thomas Kilpper und ‚Chto Delat?‘ finden sich auch Spuren und Dokumente aktivistischer Kultur wie wir sie seit Stuttgart_21 und ATTAC kennen. Wie passt das alles in ein Bild? Es gibt seit den 1960er Jahren eine beobachtbare Strategie der Visualisierung politischer Inhalte für die Strasse – ein prominentes Beispiel eine Nonne aus Kalifornien: Sister Corita. Sie hat sich politisch gegen soziales Unrecht und den Vietnamkrieg engagiert. In Siebdrucktechnik gestaltete und fertigte sie Plakate und Transparente für Demonstrationen an. Dabei fügte sie Bilder und Texte, abstrakte Muster und kräftige Farben in kritischen Kompositionen zusammen. 2007 richtete das Museum Ludwig ihr eine Einzelausstellung in Köln ein. Nichts an der Vehemenz mit der einzelne Künstler ihre Kritik formulieren geht verloren – siehe auch die vehemente Reaktion von Pjotr Pawlenskis, der mit einem Brandsatz auf die Duma gegen die Inhaftierung der Mitgliederinnen von Pussy Riot protestierte – und sich 2012 seinen Mund vernähte. Schorsch Kamerun hat in seinem Beitrag auf einen Transfer verwiesen: ’Viele Symbole des Aufständischen sind aber inzwischen in werbewirksame Verwertbarkeiten umgelenkt worden.’(RP 18.2.’17) hat also der Protest seine Berechtigung verloren, nur weil die Halbwertzeit von der Irritation in die Mitte der Wertegesellschaft so kurz ist? Man muss vom Gegenteil ausgehen – die aktuelle Lage ist ernst: in Europa, man fülle bitte die lange Liste der Länder weiter, in denen die freie Meinungsäusserung nicht mehr existiert oder in Gefahr ist, bitte ein Seitenblick auf die USA, die Meinungsdiktaturen in Afrika… Pressefreiheit wird somit zum Lakmustest des Demokratieverständnis – am Umgang mit Deniz Yücel und seinen Kollegen wird die Türkei gemessen!

Dagegen sollen Künstler rebellieren – allein? Wohl kaum, die Liste einer protestbereiten Minderheit ist lang – in ihrer Summe sicher gewichtig und vielstimmig, Künstler machen sich nicht gemein mit Wutbürgern – auch eine Protestbewegung! – sie bilden Allianzen mit kritischen Philosophen, Soziologen und Urbanisten, mit Pädagogen, Psychologen und alternativen Ökologen. Der Protest braucht die Reibung der Strasse, bevor er die Spielpläne der Stadttheater und Opernhäuser – und die Ausstellungshallen der Kunstvereine und Museen erreicht.

Im Januar diesen Jahres gab es in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften einen ganzen Abend  zum Thema ‚Revolution‘ – zum Auftakt wurde die Bühne gestürmt! Was zunächst Teil der Inszenierung dieses lebendigen Abends zu sein schien, war eine echte Solidaritätskundgebung für Andrej Holm  und nicht Teil des offiziellen Programms.

2005 legte  Martin Puchner, ‚Poetry of the Revolution: Marx, Manifestos, and the Avant- Gardes‘ bei Princeton Press vor – er zieht eine deutliche Entwicklungsinie zwischen dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und dem Futuristischen Manifest, verbindet so das 19. mit  dem 20. Jahrhundert  – und einer Kunst die sich daraus speist: ‚manifesto art‘ – die aufgrund ihres Netzwerkes umspannend Amerika und Europa durchzieht. Den Avantgarden scheint der Protest ein unveräusserbarer Nucleus!

Er nennt es im Text   ‚an act of self-foundation and self-creation‘!

Philipp Holstein bezieht sich in seinem Artikel (RP 15.2.’17) auf die Rolle des Körpers in der Protestkultur – der einzelne in der Gruppe, anders als in den ornamentalen faschistischen Inszenierungswut der 1930er Jahre – erkennbar Individuum im kollektiven Protest – in der Kritik geeint, aber in Nuancen differenziert. Das lässt mich unweigerlich an den jungen Choreograf Erdem Gündüz denken, er hat mit seiner stillen Anklage auf dem Taksim in Istanbul viele Menschen bewegt. Er hatte im Sommer 2013 viele stille Nachahmer – viele die damals aufbegehrten sind heute durch die aktuelle Lage des Anti- Terror-Gesetz  der Türkei einer manifesten Gefahr ausgesetzt. 4 Tage vor der Wahl 2015 in Griechenland – die über die Zukunft des Landes entscheiden sollte, rief ich zu einer öffentlichen Aktion auf: public square. Es kamen zirka 350 Menschen in weiss u schwarz gekleidet und bildeten in Erinnerung an Kazimir Malevich ein Schwarzes Quadrat in Thessaloniki – die Kunst gab eine Form vor – aber die gefühlte Rolle der beteiligten Menschen war eine andere – sie begriffen sich als ein Statement im öffentlichen Raum – für die meisten eine neue aber wichtige Rolle über ein anderes Verhältnis zur Polis, ihrer Stadt.

2018 wird in Trier dem großen Denker und Philosophen gedacht, der am 5. Mai 1818 in Trier geboren wurde. Unter anderem mit einem Geschenk aus China: Karl Marx in Bronze – 6Meter50 groß – man sucht nach einem geeigneten Aufstellort. Irgendwie finde ich diese Monumentale Geste für Marx nicht angebracht – seine Gedanken über eine neue soziale Gesellschaft waren und sind prägend – nicht seine Statur!

1977 begann meine künstlerische Praxis auf der Strasse, der Einkaufsmeile Shadowstrasse, eher einem spontanen post-Punkgefühl geschuldet – aber die Irritation hat gewirkt: wer in einem roten Müllsack reglos auf der Strasse liegt hält den (Waren-) Verkehr auf – von neugierigem Anstupsen bis lautstarkem Treten war alles dabei – und muss weg! 2013 lag ich dann vor dem Kölner Rathaus – mit 200 Gleichgesinnten – rote Bücher in der Hand – aus Protest gegen die angedrohte Schliessung der Museums- und Kunstbibliothek.

Am 3. März jährte sich der Einsturz des Stadtarchivs in Köln – seit 8 Jahren versucht man die Schuldigen zu benennen und den Todesopfern zu gedenken; der Initiative archiv.komplex ging dieses ergebnislose Suchen auf die Nerven – sie übergaben letztes Jahr das Schild ‚EINSTURZSTELLE‘ als Geschenk von mir an die Stadt Köln. Nach einigen Diskussionen hat die Stadt das Geschenk angenommen – es steht für ein Hingucken und Handeln.

So kann ein Geschenk auch Protest sein!

 

 

 ***

Weiterführend →

Lesen Sie im Rahmen der public preposition ein Gespräch zwischen Vanessa Joan Müller und Mischa Kuball über öffentliche Beziehungen. Gleichfalls empfehlenswert das Ateliergespräch von Prof. Dr. Matei Chihaia mit Mischa Kuball.

public preposition, Katalog von Mischa Kuball, Distanz Verlag, Berlin. Texte von Barbara Steiner, Blair French, Zoran Eric u. a.