hier also bin ich

Vorbemerkung der Redaktion: Für das Projekt Kollegengespräche hat A.J. Weigoni einen Austausch zwischen Schriftstellern angeregt. Auf KUNO ist diese Reihe wieder aufgelebt, daher bringen wir gern den Austausch zwischen Sibylle Ciarloni und Joanna Lisiak über Weltfremdheit, Mehrwert und selbstbewusste Wörter.

Zwischen Freudemoleküle verbreiten sich und mit ihren Füssen am Kopf ihres Bettes liegen auf 162 Seiten mehrdeutige Weltordnungen in kleinen und großen Bildern. Ich lese sie auf einer mehrstündigen Reise durch den feuchten Nebel seit der Adriaküste in Richtung kalttrockener Norden durch mehrere Berge fahrend. Das Lesen im Nebel ist ein anderes als wenn die Sonne mich durch das Doppelglas des Zugfensters anscheinen würde. Ich lese konzentriert kurzsichtig. Weitsicht ist nur nach innen angebracht. Weltfremd gleite ich durch die unsichtbare Landschaft.

Sibylle Ciarloni: Weltfremdheit ist eine Eigenschaft, die man Schriftstellern gerne unterstellt.

Joanna Lisiak: Tut man das? Das ist mir nicht bewusst. Ein Recht auf Weltfremdheit haben die Schriftsteller meiner Meinung nach aber allemal. Auch Künstler. Alle eigentlich. Ich möchte mir ein Stück Weltfremdheit bewahren, um mich literarisch ganz frei entfalten zu können. Bei einigen literarischen Eskapaden, ist es nicht schlecht, weltentrückt, provokativ zu sein, oder sogar durch eine naive, rosarote Brille die Dinge zu betrachten. Irgendwoher muss das Staunen ja herkommen. Die Nüchternheit gebiert nur sporadisch wahre Blüten.

Weltfremde Schriftsteller haben sicherlich andere Dinge zu berichten als die üblichen Verdächtigen auf den Tribünen, die sich nicht weltfremd geben. Die Rede ist von Experten, Politikern, Medienleuten und wer da immer alles von der Partie ist. Was mich immer wieder erstaunt, ist, dass die Meinung von Schauspielern offenbar so wertvoll ist. Könnte man stattdessen nicht ebenso gut Bäcker, Gärtner, Sekretärinnen zu Wort kommen lassen? Wir möchten am Ende die Themen durch interessante, differenzierte und komplex denkende Menschen reflektieren, oder? Ich finde beide Seiten gleichberechtigt, also die weltfremden und die nüchternen. Aber oft werden Köpfe befragt, die man halt eben kennt, egal, ob es passt oder nicht und vor allem werden sie dazu aufgerufen abgeklärt und nicht weltfremd zu sein. Vielleicht sind ja gewisse Autoren am Ende aber doch besser dazu geeignet in ihren Schreibstuben hervorragende, literarische Wunder zu vollführen und konzise auf Papier verarbeitete Konstrukte zu schaffen, als dass sie durch ihre Aussagen verraten, dass sie keine Ahnung haben von der Welt oder sich sonst wie quälen, weil sie den Bogen von der Weltfremdheit zur Weltgewandtheit schlagen müssen und ihnen das weniger gut gelingt. Das ist insofern nicht fair, da die besagten Gärtner niemals eine Stimme in einem öffentlichen Diskurs haben dürfen, außer der zu spezifischen Gärtneranliegen. Ich bewahre mir meine Weltfremdheit gerne, zumindest beim Schreiben.

Sibylle Ciarloni: Sie bewahren sich also Ihre Freiheit. Das stelle ich mir nicht einfacher vor, als der Wille zu Weltwissen oder – wie Sie es nennen – zu Weltgewandtheit. Sind nicht alle Menschen ihrer ganz eigenen Welt zugewandt? So lange ein Mensch lebt, interpretiert er ja Welt. Manchmal müssen Künstler über ihre Welt, was bedeutet, über ihre Arbeit, Auskunft geben. Auch Autoren werden immer wieder dazu aufgefordert.

Joanna Lisiak: Ich versuche, starke Wörter wie „müssen“ aus meinem Vokabular zu bannen oder mich nicht als Autorin, sprich als eine Vertreterin eines Schlags, zu sehen. Das kommt auf die Situation oder einen Text an. Ich meine, dass viele Texte für sich stehen und nur, wenn man das auch wirklich kann, diesen bestimmten Mehrwert zu schaffen, wenn man über die eigene literarische Arbeit spricht, soll man sowas tun „müssen“.

Sibylle Ciarloni: Mehrwert?

Joanna Lisiak: Ehrlich gesagt, scheitere ich selbst immer wieder daran, meine Texte, die sich einst im Fluss entfaltet haben, ihre eigene Form gefunden haben, wieder zu einem großen Ganzen zusammenzufassen, gespickt mit weiteren Extra-Informationen, die man im Text so nicht finden würde und nicht lesen kann.

Sibylle Ciarloni: Informationen über die Situation in der Sie sich beim Schreiben befunden haben zum Beispiel?

Joanna Lisiak: So gerne ich manchmal selbst von Dritten über die Entstehung, den Hintergrund gewisser Texte erfahre, so ist es doch reizvoller für mich, den Leser in seiner unbestimmten eigenen Vorstellung alleine zu lassen, ihn der Illusion eben nicht zu berauben. Die Wahrheit ist oftmals ja viel banaler als die Fantasie eines entfachten Lesers und weshalb soll man manche Dinge zerreden? Ich finde Autoren sollen den Mund halten und tun, was sie am besten tun: schreiben.

Sibylle Ciarloni: Gedichte können Impulse für Denkbares vorbereiten. Ich meine, sie sind die freieste schriftliche Ausdrucksform. Schreiben Sie alle Wörter klein, um mehr Aufmerksamkeit für den Wortsinn zu bekommen?

Joanna Lisiak: Ich scheue die kleine Extra-Arbeit nicht, die Shift-Taste zu drücken. Wie wunderbar doch die Vorstellung, dass man den Wörtern einen kleinen Schubs verschaffen kann mit dem Shift, sie aus der Kleinschreibung herausholt und schon stehen sie stramm da, ob mittig oder am Ende des Satzes, aufrecht, groß und irgendwie stolz.

Die Sache ist die, dass ich es eigentlich schätze, wie im Deutschsprachigen immer wieder einzelne Wörter mitten im Satz aufstehen und selbstbewusst da sind, sich ihren Platz einräumen. Ich habe mich aber schon länger einiger Satzzeichen entledigt und es war eine Frage der Zeit, bis ich mich zu diesem letzten Schritt durchringen konnte, der Kleinschreibung, weil sich dadurch viele neue Interpretationsmöglichkeiten ergeben, vor allem an den Zeilenenden, wo man teils noch nicht weiß, wohin es mit dem Text weitergeht.

Sibylle Ciarloni: Sie spielen mit Extremen, Sie lassen die Leser ganz frei oder aber Sie präzisieren unheimlich genau. Manche Dinge riecht man förmlich, man kann ihre Seelen spüren oder ein Geräusch hören. Andere fliegen schon beim Lesen wieder vorbei wie der Hauch eines Nichts, eine ungenaue Erinnerung.

Joanna Lisiak: Es zeichnet meine Lyrik wohl aus, dass ich verschiedene „Gedichtarten“ verfolge. Nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch und von der Form her. Ich habe mir nicht eine Poetologie auferlegt wie eine Regel, die ich strikt befolge. Stattdessen folge ich der Idee selbst und arbeite dann jeweilig an ihrer Übersetzung und versuche das jeweilige optimale Haus für diese Idee zu bauen. Dies alles ergibt sich aus der genauen Betrachtung: ich verfolge, destilliere, ergänze, hinterfrage. Ich reduziere wohl weniger als andere, stattdessen spiele ich mit der Idee. Das führt womöglich zu ein paar Gerüchen oder akustischen Phänomenen mehr.

Sibylle Ciarloni: Manche Ihrer Gedichte muss man schnell lesen, manche langsam und mehrere Male. Wie erklären Sie sich das?

Joanna Lisiak: Der deutsche Lyriker Kurt Drawert erwies mir, als ich im Literaturhaus in Frankfurt bei ihm las, die Ehre meinen Texten zuzuhören und meinte, dass meine Gedichte mit Jazz vergleichbar seien, der mir ja als Jazzsängerin sehr nah ist. Er behauptete kühn, dass er heraushören würde, dass ich zum Schreiben Hintergrundmusik aufgelegt habe und welche. Damals war das tatsächlich auch so und er hatte mit seiner Annahme Recht, und das Publikum hatte gestaunt. Heute allerdings schreibe ich lieber in der Stille.

Wahrscheinlich sind nämlich die jeweiligen Themen oder eigene Stimmungen selbst an Tempi gebunden, ganz wie in der Musik. Gewisse Melodien muss man langsam, andere up tempo spielen. Es gibt Mischwesen, die sich mal so, mal anders gut machen. Oder solche, die wechseln, also langsam beginnen und dann nachziehen oder je nach Laune und Dynamik der Musiker, mal so, mal anders funktionieren. Aber das ist nur eine von Hundert Theorien, von der ich Sie hier überzeugen könnte.

Sibylle Ciarloni: Bevor Sie mir nun alle hundert Theorien darlegen, habe ich noch eine Deutungsfrage. Was meinten Sie mit „man muss mich finden doch ohne mich zu lesen“ in dem Stück auf Seite 93 „hier also bin ich“?

Joanna Lisiak: Ich warne Sie. Ich tue mich wahnsinnig schwer, die eigenen Gedichte zu erklären, sie zu interpretieren oder zusammenzufassen. Aber weil Sie es sind: Das Gedicht bezieht sich ursprünglich auf einen Satz im grammatikalischen Sinne. Man kann diese Aussage auch als Metapher lesen. Finde mich, aber komm nicht auf die Idee zu denken, mich deswegen zu kennen. Der Satz kann, wenn man so will, nach dem Zeilenbruch weitergehen: „….doch ohne mich zu lesen / begegnet man mir lediglich als eine art verzierung….“. Oder man liest die übernächste Zeile in Verbindung mit der vorletzten, dann heißt es: „begegnet man mir lediglich als eine art verzierung / ich bewirke etwas…“.

Lassen wir das!

 

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Weiterführend →

Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen Sebastian Schmidt und Joanna Lisiak. KUNO verleiht der Autorin für das Projekt Gedankenstriche den Twitteraturpreis 2016. Über die Literaturgattung Twitteratur finden Sie hier einen Essay.

Zuerst erschienen im Mosaik Nr. 23, Sommer 2017, Zeitschrift für Literatur und Kultur. KUNO macht es zu Recherchezwecken zugänglich.