Unlängst verkündete der Firmenchef Jack Dorsey das sein Unternehmen Twitter dem User künftig 280 Zeichen zur Verfügung stellt. Als Förderer den neuen Literaturrichtung Twitteratur befürchtet KUNO nun, daß sich diese „Weltgeschehensschleuder“ so verquatscht, wie es Denis Ullrich in seinem den Prosaüberflug Lost in Laberland prognostiziert hat. Gerade die Reduktion auf 140 Zeichen hat die User zur Konzentration und aphoristischer Kürze gezwungen.
Der Traum des Kritikers ist es, eine Kunst durch ihre Technik zu definieren.
Roland Barthes
Die Autorin Mone Hartmann geht sogar noch einen Schritt weiter, sie lehnt den Begriff Twitteratur rundweg ab und bezeichnet ihre microtexte als Lese-Quickies. Wir finden hinter diesem Link Kleinode voller Poesie, Dreizeiler mit Sprüche-Charakter, manchmal steckt eine ganze Geschichte in nuce in den auf 140 Zeichen begrenzten Quickies. Das Besondere ist in ihrem Fall die Entstehung, sie gehen aus der kreativen Zerstörung zuvor geschaffener, größerer Gedichte und Prosafolgen hervor. Aus diesen Bruchstücken wird von Hartmann etwas zeitgemäßes geschaffen, keine Reportage oder Chronik, sondern microtexte, die sich manche derjenigen Freiheiten nehmen, die der künstlerischen Gestaltung zustehen. Hier ein Lesebeispiel:
Friedhof, Nacht und Stille
sie liegt auf dem Grab
drückt ihr Gesicht in feuchte Erde
schon modrig, der Liebste
und Himmel ist fern
Hinter dem Unternehmen Twitter stehen zudem noch ganz andere Symbolsysteme, die das medientechnische Apriori eines jeden Tweets bilden: Algorithmen, Datenbanken und Netzwerkprotokolle als unsichtbare Paratexte. KUNO wird dieses jeweils spezifische Ineinandergreifen weiterhin in diesem Onlinemagazin kritisch hinterfragen.
Weiterführend →
Bestand die Modernität des Aphorismus bisher in der Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist Twitteratur.
Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.
Twitteratur, eine Anthologie. Erweiterte Taschenbuchausgabe mit der Dokumentation des Hungertuchpreises. Herausgegeben von Matthias Hagedorn, Edition Das Labor 2016.