Frühstücksidylle

 

Er hatte aus dem Fenster geschaut, die Sonne brannte schon früh herein, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Vergessen waren plötzlich die langen Monate des Winters. Vergessen war ihm die Kälte, die Mühe des Atmens in frostiger Luft. In den Garten blickte er, jenes kleinste Fleckchen Erde, welches in den letzten Jahren zu einer fast schon kitschigen Idylle gewachsen war. Mit Blümchen und Buchsbaumhecken. Erste beschienene Flecken breiteten sich dort unten aus.

Er würde gleich Kaffee kochen, sein Gedeck herunterbringen, die vielen Kleinigkeiten, welche zum Frühstück gebraucht wurden, in einem Korb. Der winzige Plastiktisch mit den violetten Plastikstühlen würde gedeckt sein und alles zum Essen bereit. Ja, sogar eine Tischdecke würde sich ausbreiten unter dem Ensemble. Nichts ordentlich gereiht, sondern in loser Folge als fast barockes Stillleben fanden sich dann Gedeck, Butter, verschiedene Marmeladen, Honig und Rübenkraut, zwei Sorten Käse und Frischkäse natürlich, den er am Vortag mit Bärlauch verfeinert hatte. Eine Kaffekanne und Orangensaft, leckeres Vollkornbrot mussten schon sein.

Der dunkle Aufwecker, den er so dringend morgens brauchte, lief durch den Handfilter und verbreitete schon in der kargen Wohnung einen hocharomatischen Duft. Alles wurde schnell heruntergebracht und ausgebreitet. Herr Nipp ging noch einmal hoch, den Kaffe zu holen. Musste noch einmal nachgießen, zwei Minuten warten. Als er endlich in den Garten kam, bot sich ihm ein Bild der Verwüstung. Die Krähen und Elstern aus den Bäumen der Nachbarschaft waren wie ein Heer von Trollen über die ausgebreitete Tafel hergefallen und hatten sie gnadenlos geplündert. Diese Kreaturen wussten noch, was es hieß, eine Politik der verbrannten Erde zu führen.

 

 

***

Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421