A.J. Weigonis Roman Lokalhelden erzählt von dem, was wir selbst an uns empfinden: Die Welt hat sich zur illusionslosen Realität verengt. Und durch dieses Nadelöhr fädelt sich jede schmalste Individualität, die sich nur aufputzt, um sich in Anführungszeichen eine Kontur zu verpassen, die sie längst im Parcours der Anpassungen abgerieben hat. Doch bei einem ‚lekker Obergärig‘ lässt sich gerade hier, im großstädtischen Dorf, die Welt noch aus den Angeln heben und Niederlagen lassen sich in Siege umdichten. Man verzeiht sich so manchen Mangel, bevor man ihn erkannt hat. Und dies ist so nah am Leben, dass man seinen alkoholisierten Atem riecht. Das erleichtert bekanntlich den eigenen Untergang.
Provinz ist kein Ort, man trägt sie im Kopf. Natürlich schaut der Roman Lokalhelden, der sich liebevoll vor der Perfektionslosigkeit der Rheinländer verbeugt – und, nachdem sein Blick von deren Erdverbundenheit wieder aufgerichtet wurde, über das Rheinland hinaus in die globale Provinz – das ausgehende 20. Jahrhundert. Das Regionale ist dort von Belang, wo es das Provinzielle verlässt. Das Provinzielle ist heimattümelnd und lässt hinter einem Geflecht von Mittelmäßigkeit nur noch selten Einzigartigkeit aufleuchten.
Literatur stirbt, wenn sie nicht mit ihrer Tradition bricht. Weigoni untersucht ethnografisch die Lebensweisen und Lebenslügen der Rheinländer, sein Roman ist ein großes Stimmentheater, in dem von der humanistischen Phrase zum vulgären Spruch, vom zärtlichen Liebeswerben über den schalen Witz bis zur Schlägerei unendlich viele Nuancen gleichsam hörbar werden. Dabei scheint es sich hinter vielerlei Geschrei zu verstecken, um seine Tonlosigkeit zu verbergen. So lotet sich in den Worthülsen auch das Echo der Sprachlosigkeit dieser ‚Achsenzeit‘ aus. Und die Verkleidung der Leere gestaltet sich umso schriller, je grauer der Alltag ist, auf dem sie sich gründet.
Der Roman Lokalhelden ist eine ruppige Liebeserklärung an das Rheinland. Weigonis Blick seziert und durchleuchtet das aufgebaute Panorama rheinländischer Frohnaturen bis auf ihren melancholischen Grund. Im Rheinland findet er das Erhabene neben dem Banalen, das Tolle neben dem Schönen, das Alltägliche neben dem Transzendenten. Er will nicht mit der Literatur bewahren, was dem Leben abhanden gekommen ist. Seine Figuren halten nichts fest. Man sieht sie gleichsam im freien Fall. Diese Menschen kommen nicht los von all den Dingen, die beim rasenden Fortschritt an jeder Biegung des Zeitgeistes aus der Kurve fliegen. Ein Hauptwerk, das aus lauter Nebensachen und Nebensätzen besteht. Was in diesem uferlosen Redefluss zur Sprache kommt, dieser Romancier antwortet mit einer Geschichte, mit noch einer Geschichte, und mit einer weiteren Geschichte zu den Anekdoten.
Als Anthropologe einer durchmechanisierten Gesellschaft, ihrer Körper– und Geschlechter–Zwangsrollen untersucht Weigoni, als ‚Heimatdichter‘ die Mentalitätsgeschichte des Kleinbürgerlichen. Er schafft es, den Dialekt dem Milieu zu entreißen und in seiner Prosa zur Kunstsprache zu veredeln. Darin ist Weigoni ein Archäologe der untergehenden ‚Bonner Republik‘, ein Analytiker der deutschen Seele, ein Soziologe der deutschen Geschichte und führt Figuren zusammen, deren Lebensform das Stranden ist, das versuchsweise Verschollen–Sein. Dieser Romancier kann einfach nicht anders, als sich immer wieder an den zurückgebliebenen Figuren des Daseins abzuarbeiten, an ihren rätselhaften Gemütslagen und altmodischen Interieurs. In diesem Roman dürfen die Figuren und die Dinge sein, was sie sind: sinnliche Erfindungen der Phantasie.
Und dass wir fast so nebenbei über Historie, Tradition und Brauarten des Biers informiert werden, lässt den Schluss zu, dass wir dem Schriftsteller durchaus einen Gefallen erweisen, wenn wir den Genuss der Worte mit einem ‚lekker Obergärig‘ umspülen.
***
Zur Subscription freigegeben: Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.
Weiterführend →
Lesenswert das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Walther Stonet lotet Altbierperspektiven aus. Conny Nordhoff erkundet die Kartografie. Zuletzt, ein Rezensionsessay von Denis Ullrich.