Der Weg endete in einer Sackgasse inmitten eines Wäldchens, das die Kinder nur Paradies nannten.
Doch daran dachten sie nie. Die Kinder hatten immer nur Augen für die Kastanie, die sie nach der Schule eroberten. Für den Zaun, der den Abgrund bezeichnete, von dem die Älteren ihnen schauerliche Geschichten zu erzählen wussten. Und für die steil aufragende Betonwand, deren Gipfelkette das Paradies begrenzte.
Am Rand der Mauer, in einer Kehre, lag versteckt eine kleine Treppe. Sie führte zu einem Eingang, der, so sagten die Kinder, das Tor zum Paradies war. Jedoch es war verschlossen. Immer schon, so hieß es. Und niemand wusste, wer den Schlüssel verwahrte. Oder ob es jemals einen Schlüssel gegeben hatte.
Gleich neben dem Eingang gab es jedoch ein Schlupfloch. Gerade groß genug, dass sich die Kleineren dort durchzwängen konnten. Kaum hatten sie es geschafft, waren sie auch schon verschwunden. Kein Blick konnte ihnen folgen.
Das Dickicht hatte sie verschluckt.
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Freilauf, Miniaturen von Stefan Oehm, KUNO 2018
Die Miniaturen von Stefan Oehm sind eine Reihe von Short-Shorts, kurze Kurzgeschichten. Diese konzentrierten Prosastücke sind fast alle hintersinnig und mindestens doppelbödig. Einige bringen im Kopf des Lesers eine – kleinere oder größere – Welt zum Erblühen. Oder auch zum Verwelken.