So provinziell Bayern von außen erscheint, dieser „Zwergstaat“ (Holger Czukay) hat großartige Künstler hervorgebracht, etwa Karl Valentin, Gerhard Polt und die Biermösl Blosn, sowie die Gruppe Embryo.
Was Kraftwerk für Düsseldorf war Embryo für Munc. Künstler, die einer eingebildeten Metropole Weltgeltung verschafft haben. Die Musiker von Embryo wurden zu Pionieren der „Weltmusik“, lange bevor es den Begriff überhaupt gibt. Als Botschafter der Musik, als Repräsentanten eines anderen Deutschlands stehen sie nie still: üben, spielen, touren, aufnehmen. Mehr als 400 Musiker spielen über die Jahrzehnte mit Embryo: darunter Fela Kuti und Jazzgrößen wie Mal Waldron und Charlie Mariano.
Weltmusik bezeichnet zum einen die im Zuge fortschreitender Globalisierung entstandenen Mischformen aus westlichen und nichtwestlichen Musikpraktiken und zum anderen die Vorstellung von der Gesamtheit der regionalen Musiken der Welt, die seit der Verbreitung von Tonträgern im Verlauf des 20. Jahrhunderts nahezu weltweit verfügbar geworden sind.
Die Musiker von Embryo wurden zu Pionieren der „Weltmusik“, lange bevor es den Begriff überhaupt gab. Sie folgten der Erkenntnis, dass wer die Welt mit ihrem Reichtum liebt, denen eine Stimme geben müsste, die sonst nicht gehört werden. Musik ist ein Weg dazu, vielleicht sogar der beste. Deswegen ist die Band Embryo eine über die Musik hinausgehende Verständigung. Als Botschafter der Musik stehen sie nie still: üben, spielen, touren, aufnehmen. Sie zu anderen Musikern um sie kennenzulernen, mit ihnen zu spielen und vertiefen sich in afghanische, indische und nordafrikanische Musik, beschäftigen sich mit Vierteltönen, Mikrotönen und am liebsten: mit ungeraden Rhythmen wie einem 41-Achteltakt. Über 400 Musiker spielen über die Jahrzehnte mit Embryo: darunter Meistermusiker aus Marokko, Indien, China und Nigeria.
Der Sound ist für einen Musiker unheimlich wichtig. Ich glaube, Wissenschaftler haben entdeckt, dass wenn man Musik wahrnimmt, dass nicht die Tonhöhe zuerst wahrgenommen wird, sondern das Geräusch, also der Sound. Das ist in der Wahrnehmung des menschlichen Empfindens wichtig.
Christian Burchard
Der Vibraphonist Christian Burchard war ein Genie der Freundschaft. Bereits in den 1960er Jahren war der oberfränkische Weltbürger als Jazzmusiker aktiv und spielte auch Klavier und Posaune. Er tourte mit Mal Waldron und bildete mit dem Saxophonisten und Geiger Edgar Hofmann sowie dem Schlagzeuger Dieter Serfas ein Jazztrio. 1969 wechselte Burchard ans Schlagzeug und formierte mit Hofmann und Lothar Meid die Band Embryo. Burchard sammelte unterdessen immer neue Musiker um sich. Insgesamt haben seit 1969 zahllose Musiker beim Kollektiv Embryo gespielt. Zu den langjährigen Mitgliedern zählen u. a. Roman Bunka (Gitarre, Oud), Uve Müllrich (Bass), Michael Wehmeyer (Keyboards), Lothar Stahl (Marimba, Schlagzeug) und Jens Pollheide (Bass, Flöte). Außerdem gab es langjährige Freundschaften zu anderen Musikern und Bands, die immer wieder als Gäste bei Embryo erschienen, darunter Charlie Mariano, der die Band auch nach Indien begleitete, wo sie gemeinsam mit dem Karnataka College of Percussion musizierten und wundervolle Aufnahmen davon machte.
Independent-Label
Das Label Schneeball war „unabhängig“, lange bevor dieses Wort in den deutschen Slang übernommen wurde. Es war nach FMP erste Label, das vollständig von den Musikern organisiert und finanziert wurde. Sie haben fast alles selbst gemacht, und wenn die Musiker es nicht persönlich gemacht haben, haben sie es kontrolliert: die Produktion, das Coverdesign, die Herstellung und zusammen mit einem Netzwerk von Freunden den Verkauf und Vertrieb.
Doch der edle Plan konnte der harten Realität nicht standhalten. Das Motto des Labels „Musik wird von den Musikern vermarktet“ galt eigentlich nur in der Anfangsphase von SCHNEEBALL. Danach setzten sich letztlich die gleichen Strukturen durch, die wir eigentlich überwinden wollten. Die Herausforderung der Spezialisierung war unvermeidlich, da Musiker notorisch inkompetente Buchhalter sind
Christian Burchard
Dennoch entstanden viele Embryo-Alben auf ausgedehnten Konzertreisen in andere Kontinente. Mit dem Kopf hat Burchard die Erde bereits tausend Mal umrundet, diese Offenheit ist in seiner Musik spürbar, er gibt jedem seinen Raum und daraus entsteht ein musikalisches Ganzes. Aus all diese Erfahrungen speist ihre frei fließende, bunt schillernde Musik, die sie immer wieder mit überraschenden Klängen und Tönen neu auftanken. Diese Combo ist keine gewöhnliche Band, eher eine Soziale Plastik. Musik war für Embryo immer ein Kommunikationsmittel, das Musizieren ihre Art und Weise, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Der Rhythmus war dabei meistens der erste Wegweiser. Die Musiker von Embryo waren unentwegt Reisende, mental und physisch, vor allem aber musikalisch. Ursprünglich aus der Blues-, Rock- und Jazzecke kommend, bewegen sie sich durch so viele Klangwelten, dass sie denen, denen sie unterwegs begegnet sind, selbst schon wie eine einzige personifizierte Klangreise erschienen. Die Band ist dabei auch mit wichtigen Musikern der von ihnen bereisten Ländern wie Shoba Gurtu, T.A.S. Mani, Mahmoud Gania und Okay Temiz aufgetreten. Der sehenswerte Film Vagabunden Karawane von Werner Penzel aus dem Jahr 1980 berichtet über eine dieser Reisen, die von Deutschland bis nach Indien führte.
Wir finden auf unserem Weg, was wir suchen.
Das ist die charmantere Variante von: Der Weg ist das Ziel.
Der Filmemacher begleitete die Gruppe Embryo Ende der 70er Jahre auf ihrer achtmonatigen Reise von München in die Provinz Kalkutta, Indien. Embryo war damals eine der innovativsten deutschen Rockbands. Auf ihrer Abenteuerreise durch das Land begegnet die Gruppe fremden Kulturen und deren Musik. Der Film beinhaltet ausdrucksstarke Bilder, kulturellen Austausch, aber auch die Strapazen der Reise sowie die sozialen und politischen Situationen der vorgestellten Länder. Embryo’s Reise ist eine Audiodokumentation dieser Reise durch den Nahen Osten, ein musikalisches Tagebuch ihrer verschiedenen Erfahrungen mit Meistermusikern und Straßenmusikanten gleichermaßen, von Bombay bis zu den Docks von Kalkutta und darüber hinaus. Daraus resultierte keine klinische Übung in Musikwissenschaft oder Studiositzung, diese Aufnahmen leben und atmen mit den Klängen und Gerüchen der Musik, die aus dem kreativen Fluss des laufenden Lebens entsteht. Ethnische Instrumente, Jazz, Rock und Gesänge vereinen sich auf diesem großartigen Doppelalbum zu einem lebendigen Klangteppich. Die elektronischen analoge Aufzeichnung dieser Inhalte geben dem Hörer die Möglichkeit, sich diese akustischen Ereignisse vor Ohren zu führen.
Am 17. Januar 2018 ist Christian Burchard im Alter von 71 Jahren verstorben. Wir ehren ihn, indem wir seine Musik hören.
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Embryo’s Reise, 1979
Weiterführend → Der Begriff `Krautrock´ geht auf das Wort „Sauerkraut“ sowie die Bezeichnung „Krauts“ für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zurück. Der Ursprung des Wortes Krautrock geht auf eine Werbeanzeige der deutschen Firma Popo Music Management zurück, die in der US-amerikanischen Zeitschrift Billboard das Wort 1971 erstmals benutzte, um für Platten von Bacillus Records zu werben. Dieser Begriff wurde von der britischen Presse aufgegriffen und häufig benutzt. Peinlich wird Krautrock immer dann, wenn Deutsch Bands versuchen englische Texte zu verzapfen. Daher ein Hinweis auf die Deutschen Texte von Ton, Steine, Scherben. Sowie auf Ran! Ran! Ran! – THE BEST OF FAMILY*5 / VOL. I, zusammengestellt von Xao Seffcheque. Inzwischen ist das alte Thema Compact Cassette wieder aufploppt. Laut eines Berichts im Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“, wir spulen zurück in die Zukunft des Cassettenlabels. Danach ertastet KUNO den Puls des Motorik-Beats. Und machen eine Liebeserklärung an die „7-Inch Vinyl Record Single“. Krautrock ohne angloamerikanisches Vorbild – lässt es auch die Kraaniche fliegen? Auf Embryo’s Reise entdeckten die Musiker zwar nicht Amerika, sondern die Weltmusik. Ist das noch Krautrock? – Eher Labskaus vom feinsten! Last but least: Krautrock @ its best!
Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe