Avantgarde und Heimat, A.J. Weigoni bringt Unvereinbares zusammen. Den Typus des Rheinländers betrachtet er als ein Sammelsurium von Verhaltens- und Denkmustern, die sich im dialektalen Sprechverhalten identifizieren lassen. Weigoni nutzt einen multiperspektivischen Ansatz, der den Unübersichtlichkeiten dieser Zeit entspricht. Lokalhelden spricht nicht über das 20. Jahrhundert, sondern aus dem 20. Jahrhundert heraus; dem sogenannten Scharnier–Jahrzehnt zwischen dem 9. November 1989 und dem 9. September 2001.
Der Kapitalismus macht Beziehungen zu Warenbeziehungen. Deshalb ähnelt uns der Rheinländer mehr, als wir denken: im Privaten fröhlich, im Offiziellen borniert, er parasitiert an der Leistung anderer und hält sich, wo irgend möglich, schadlos. In seiner hybriden Prosa bringt Weigoni das entfremdete Leben des 20. Jahrhunderts zum eigentlichen Ausdruck. Das Porträt eines Epochen– und Sittenwandels ist in diesem Roman bis ins Emblematische verdichtet. Die Kontingenz ihres Lebens zwingt die Rheinländer dazu, dies völlig zu verdrängen. Unablässig versuchen sie, Empfindungen und assoziierte Gedächtnisinhalte in die Erinnerung zurückzurufen und im Bewusstsein tagesaktuell neu zu rekonstruieren. Das Rheinland ein großes Symbiosentheater, die Bonner Republik war zugleich reaktionär und zukunftsweisend. Weigoni legt in diesem Roman eine durch Scheinmoral korrumpierte Gesellschaft frei.
Einerseits ist es für die Lokalhelden Fluch, gleichzeitig jedoch das Beste Rheinländer zu sein, andererseits den Mythos der Lässigkeit zu leben und als Kundschafter des Verborgenen die eigene Vergangenheit unentwegt zu wiederholen. Sie werden zu Menschen, sobald sie eine Geschichte haben. Und die Rheinländer sind begnadete Interpreten ihrer selbst.
Im Rheinland ist Deutschland universell erkennbar, aber nicht konkret zuzuordnen. Die Binsenweisheit, dass Dialekt Heimat bedeutet, sollte niemand postulieren dürfen, ohne hinzuzufügen: „Wenn man der Heimat nicht im Weg steht, sie einen leben lässt, dann ist Sprache Heimat.“ Bei den Aufzeichnungen aus der Topographie des Rheinlands hat Weigoni diese Spezies beim Wort genommen und bis zur Kenntlichkeit entstellt:
Dat is’ Lääve, pur!
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Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.
Weiterführend →
Lesenswert das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Walther Stonet lotet Altbierperspektiven aus. Conny Nordhoff erkundet die Kartografie. Zuletzt, ein Rezensionsessay von Denis Ullrich.