9 Fragen an den Schriftsteller Steffen Marciniak

Eine Gesprächsreihe

Geführt von Tamara Kudryavtseva, Germanistin (Moskau)

 

T.K.: Auf der 4. Internationalen Gräzistik-Konferenz im April 2017 in Moskau hielt ich den Vortrag: „Über das Schaffen Steffen Marciniaks: Hellenischer Geist in moderner deutscher Darstellung“. In Vorbereitung auf diese Veranstaltung stellte ich dem Schriftsteller einige Fragen.

 

1) Die literarische Beschäftigung mit griechischer Antike und Mythologie ist in unserer modernen Zeit selten geworden. Wie kamen Sie, im Norden Deutschlands, in Stralsund geboren, zum Schreiben und wie zum mythologischen Thema Ihrer „Ephebischen Novellen“?

 

 

Der Norden wird oft als kalt, rau und die Menschen als unzugänglich geschildert.

Nach Jahren, in denen ich viel reiste, habe ich einen Abstand auf die Heimat gewonnen, stelle für mich fest, dass dieses Urteil nicht so ganz falsch ist. Zumindest trifft es auf einige Erinnerungen zu, insbesondere meine dort erlebte pubertäre Schulzeit. Es herrschte eine Atmosphäre, in der nicht viel über Seelisches gesprochen wurde. Ich erkannte, mit meinem Empfindungsleben ziemlich allein zu sein. Mit elf Jahren begann ich zu schreiben: Abenteuergeschichten, nichts Besonderes. Unbewusst wanderte in diese Texte einiges hinein, was ich erst Jahre später verstehen sollte. Es gab in den Geschichten eine bunte Vielfalt, wie ein Kind, das Jules Verne las, sich solche Abenteuer vorstellte und das Gelesene gern weiter mit eigenen Fantasien ausdehnen wollte.

Ich nenne, was ich entdeckte gern meine südliche Seele, obwohl ich den wahren Süden damals nicht kannte. Gebürtig in der DDR blieben nur Geschichten, um mit ihnen das Seelenfernweh zu befriedigen. Märchen, Sagen, Mythen waren das erste was ich las, und ich las viel. Die Weltliteratur folgte mit 15, 16 Jahren.

Mythen waren mir immer ein Inbegriff von Buntheit und Fantasie, zugleich Flucht- wie Ausgangspunkt in eine unwirkliche Außenwelt, einem Jungen, der nur sein Innenleben hat, dass er vielleicht ahnte, nicht kannte.

Heutzutage kenne ich die südlichen Länder. Ich weiß, dass es nicht nur im Norden, sondern auch im Süden unter den Menschen eine tiefe Verschlossenheit und Abwehr gibt, gegen alles, was aus der Norm gerät. Was anders ist, das ist eine oberflächliche Leichtigkeit. In allen vier Himmelsrichtungen, so verschieden sie sein mögen, findet die künstlerische Seele keine befriedigende Antwort auf seine Einsamkeit. Sie braucht Zeit, um sich geborgen zu fühlen. Zartheit im Wesen, Innerlichkeit, und wenn man sich entdeckt, die Angriffe eines menschlichen Gewohnheitslebens abwehren, überall muss man lernen, mit dem zu leben, was einem begegnet.

Davon ausgehend erfährt man als Schreibender auch, wie man Gewalttätiges schildert. Gerade in den überlieferten Mythen gibt es viel Gewalt. Bei mir kommt sie gern als Gleichnis. Nach dem Überwinden, auch, wie man das veranschaulicht, jedes Mal wird bei meinen derartigen Darstellungen die Traurigkeit fühlbar. Den Aspekt der Gewalt spüre ich anders, als es normalerweise in monumentalen Filmen oder entsprechenden Büchern vorkommt, wo oft mehr gestorben als gelebt wird. Manch einer fragt nach den unerlässlichen dramatischen Konflikten in einer Geschichte. Meist schwebt mir anfangs ein Geschehen ohne Drama vor Augen, ich lasse mich erst langsam darauf ein.

Mein Streben im Schreiben widmet sich Erlebtem, so fantastisch auch manche Handlung daherkommt. Es gilt, wie schon als Kind, eher der Flucht aus der rauen Unfreiheit einer Wirklichkeit, hin zu einem gern verklärten Mythos, der ein frei gelebtes Leben und Lieben zeigen oder ahnen lassen soll. Flucht, die mit Wunschwelten verbinden soll, Gewalt aber als unnütz und vergeblich betrachtet.

Gern begebe ich mich dazu in wahre oder erfundene Welten der Vergangenheit, wie auch der Fantasie, verknüpfe sie einerseits im Heute, und belasse sie andererseits, gerade in meinen mythischen „Ephebischen Novellen“ ganz in der alten Zeit. Der wirklich Moderne darin bin ich, der Erzähler, und mit mir mag auch der heutige Leser darauf schauen, lesend dorthin reisen und das Märchen in seine eigene Wirklichkeit versetzen. Meine Novellen sind in jedem Fall keine bloßen Nacherzählungen, sondern zwar aus unterschiedlichen Überlieferungen gesammelt, ganz eigene neue Geschichten mit überraschenden Sichten und neuen Zusammenstellungen. Daher auch die wenig bekannten Figuren der Mythologie im Zentrum meiner Bücher. Sie treten aus dem Schatten der Götter und Helden und bekommen ihr eigenes Leben.

2) Welche literarischen Beschäftigungen gibt es in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur, die sich den griechischen Mythen widmen? Welche Autoren beeinflussen Sie für das Schreiben?

Da kann ich nur einen unvollständigen Überblick versuchen. Zurzeit gibt es eher wenig Beschäftigung mit griechischen Mythen in der deutschsprachigen Literatur. Wenn man akribisch sucht, wird man aber glücklicherweise mehr finden, als man glaubt. Ein bekannter Autor ist der Österreicher Michael Köhlmeier, der die Romane „Telemach“ und „Kalypso“ sowie ein „Sagenbuch des klassischen Altertums“ veröffentlichte, damit auch im Fernsehen auftrat. Die 2017 verstorbene Waldtraud Lewin schrieb klassische Sagen, auch über die Griechen. Das sind recht angelehnte Nacherzählungen an die in Deutschland berühmten Sagen von Gustav Schwab, mit denen alle Jugendlichen hier aufwachsen. Eventuell heutzutage weniger, als noch in meinen Jugendjahren. Sehr bekannt ist Christoph Hein. Von ihm gibt es die Novelle „Das goldene Vlies“.

In der Lyrik gibt es bei sehr vielen Dichtern immer mal wieder ein gleichnishaftes Gedicht, wo mythische Figuren im Werk eines Autors vorkommen, so bei Norbert Hummelt, Joachim Werneburg, Rolf Hochhuth, Christoph Meckel, um nur wenige zu nennen. Ein sehr schönes Beispiel für eine intensive Beschäftigung mit den Mythen bilden die formvollendeten Gedichte von Rolf Schilling. Nach den homerischen Mythen schrieb auch Peter Völker eine lyrische Trilogie: „Agamemnon und Kassandra“, „Odysseus und Seussydos“, „Achilleus und Thetis“. Peter Völker verändert das Schicksal, die göttliche Vorbestimmung der mythischen Figuren, gibt ihnen eine neue Chance, wirft sie auf sich selbst zurück. Auch unter ganz jungen Autoren wächst etwas nach, zum Beispiel bei Max Drushinin, der „Die Sänger der alten Griechen“ veröffentlichte, einen Gesang über die fünf antiken Mythensänger. Die Anthologie „Afterwork mit Sisyphos“ von Nik Salsflausen versammelt Texte junger Slam Poetry – Interpreten.

Für den Größenwahn Verlag gebe ich im nächsten Jahr einen Band der „Griechischen Einladung“ heraus, der sich ganz der Mythologie widmet, und einige hier erwähnte, bekannte und unbekannte Autoren vereint. Die Geschichten und Gedichte dieses Bandes werden ganz klassisch oder mit Bezügen in unsere Zeit oder auch in andere Mythen daherkommen.

3) Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie die wenig bekannten Titelfiguren Ihrer Novellen aus?

Die Mythologie Griechenlands kennt eine Unzahl von sagenhaften Überlieferungen und unendlich viele Figuren. Sie füllen dicke Lexikonbände. Die berühmtesten Nacherzählungen der griechischen Mythen im Deutschen erschienen als „Die schönsten Sagen des klassischen Altertums“ durch Gustav Schwab und stammen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. „Schönste“ ist natürlich immer ein singulärer Begriff des Autors, in solchen Sammlungen nimmt er oft die geläufigsten Geschichten der bekanntesten Götter und Helden auf und erzählt in Form einer Kurzgeschichte.

Mich reizen die eher unbekannten Gestalten, die in diesen Sammelwerken nur den kleinsten Platz einnehmen, gar nicht vorkommen oder, weil einige Wahrheiten nicht in die damalige Zeit der Entstehung passen, einfach verschwiegen werden. Mich reizen eher die Lieblinge der Götter und Helden. Ich gebe den ruhmlosen Figuren die Hauptrollen, versuche sie psychologisch auszuleuchten und schreibe bevorzugt Novellen, die deutlich länger als die Schwab´schen Geschichten sind. Bei mir bekommen die vertrauten Götter und Helden nur die zweite Hauptrolle, wie Herakles im „Hylas“ oder Apollon im „Kyparissos“. Im dritten Band meiner Nonalogie-Reihe, „Phaethon“ tritt als bekanntester Gott der Sonnengott Helios erst in den letzten Kapiteln auf.

 4) Ihr griechisch-mythologisches Hauptwerk ist als Nonalogie angelegt und wird als „Ephebische Novellen“ übertitelt. Warum eine Nonalogie und worauf bezieht sich der ungewöhnliche Name des Reihentitels?

Das erste Werk der Nonalogie, „Hylas oder Der Triumph der Nymphe“ erschien 2014 im Berliner Aphaia Verlag. Die Geschichte schrieb ich, weil ein Freund, dem ich sie zuvor erzählte, gern die Dialoge für einen Einschub in einen geplanten Film haben wollte. Nur die Dialoge aufzuschreiben, war mir langweilig, so schrieb ich die ganze Novelle. Diesen Film gibt es bis heute nicht, jedoch war von diesem Moment an die Geburt meiner literarischen Beschäftigung mit den griechischen Mythen geboren. Schon während der Arbeit am „Hylas“ fielen mir beim Recherchieren immer weitere Gestalten in den Schoß, deren Geschichten ich gern ausführen wollte. Ich musste mich begrenzen, da ich auch Bücher zu anderen Themen schreiben möchte. So beschloß ich neun in sich abgeschlossene Novellen zu schreiben, eine Nonalogie. Warum gerade eine Nonalogie? Es soll die Unendlichkeit anzeigen und weil die Neun als Zahl der Vollkommenheit gilt, sie umfasst als höchste einstellige Zahl sämtliche Ziffern. Zugleich enthält sie dreimal die in vielen Kulturen als heilig angesehene Zahl Drei. Die Neun sollte demzufolge auch für meine „Ephebischen Novellen“ die vollkommene Anzahl darstellen, sozusagen meine 9 Symphonien werden.

Freilich hat mich die Lust an den Mythen inzwischen weitere kürzere „Ephebische Novellen“ und auch „Ephebische Gedichte“ verfassen lassen, die in verschiedenen Anthologien erscheinen, so „Harmodios“, „Amphion“ und „Ikaros“. Der Plan geht nun dahin, einen Sammelband mit den ersten drei längeren einzeln erschienenen Bänden und weiteren sechs kürzeren zu machen.

Noch etwas zum Begriff des Ephebischen. Mein Alter Ego unter den Dichtern, der 1949 verstorbene Dichter Albert H. Rausch schrieb 1924 eine „Ephebische Trilogie“, die kein griechisches Thema hat, aber als Gemeinsamkeit Jünglinge als Hauptfiguren der Geschichten. Epheben nannte man im alten Griechenland junge Männer ab dem 18. Lebensjahr, die eine zweijährige Dienstzeit, die Ephebie, abzuleisten hatten, bevor sie mit vollen Bürgerrechten ausgestattet wurden. Auf Deutsch würde man die Reihe entsprechend etwa „Jünglingsnovellen“ nennen.

 5) Sie erwähnten Ihr literarisches Vorbild Albert H. Rausch, der den meisten Lesern unbekannt sein dürfte. Inwiefern beeinflusste gerade dieser Autor Ihr Schreiben?

Seit meiner Studienzeit und intensiver Lektüre, interessierte ich mich mehr und mehr für weniger bekannte Autoren, ich liebte das Stöbern in Antiquariaten und auf Flohmärkten. Albert H. Rausch erhielt 1932 den Büchnerpreis und ist dennoch bekannter unter seinem Pseudonym der Jahre danach, Henry Benrath. Er ist unter vielen wunderbaren Entdeckungen der Stern meines Lesehimmels. Als erstes entdeckte ich von ihm zwei wundervoll gestaltete dunkelblaue Leinenbände, den Gedichtband „Dank an Apollon“ mit einer Goldvignettendarstellung des Apollon und einen Essayband „Die Stimme Delphis“ mit Essays zu zweien meiner Lieblingsdichter, Stefan George und August Graf Platen sowie der griechischen Dichterin Sappho. In beiden Buchtiteln deutet sich ein Griechenlandbezug des Dichters an, doch nicht allein das machte Rauschs Wirkung auf mich aus. Ich sammelte und las alles, fand in ihm etwas derart Artverwandtes, wie sonst bei keinem Dichter. Er beeinflusst nicht mein Schreiben, ich lese ihn gern, betrachte diesen Dichter eher als Seelenbruder über die verflossenen Jahrzehnte hinweg, ein Alter Ego. Heute glaube ich, man kann wunderbare Schriftsteller entdecken, doch kann glücklich sein, wenn man den einen findet, von dem man denkt, er müsste einem so sehr ähneln, wie es Zwillinge tun.

6) In Ihren Geschichten fällt auf, dass Sie bevorzugt literarische Kurzformen wählen. Kann man Romane von Ihnen erwarten?

In lange zurückliegenden Jahren schrieb ich lange Werke, die ich aus Gewohnheit Roman nannte. Zwei davon sind beinahe bis ans Ende gelangt. Aber eben nur beinahe. Über Zeit und Lebensumstände will ich nicht sprechen, ich nahm das Schreiben dieser Romane wie schon die Abenteuergeschichten der Kindheit als Freude und Spaß für mich selbst. An ein Veröffentlichen wäre immer noch nach dem Ende Zeit, an ein Leben als Schriftsteller dachte ich ebenso wenig, diese „Grillen“ wurden mir in der Pubertät ausgeredet. Dabei weiß ich, damals fehlte es vielleicht nur an einem unterstützenden Menschen. Niemand hat diese Texte je in Vollständigkeit gesehen. Das eine oder andere, sage ich mir heute, das mag ich künftig gern noch mal neu bearbeiten. Die Zukunft wird es zeigen, aber ich bin fast sicher, diese Texte dann als Novellen zu konzipieren.

Novellen und Erzählungen liegen mir mehr als Romane. Ich mag die verdichtete und knappe Form. Nicht von ungefähr liebe ich auch Gedichte, noch dichter kann eine Form nicht sein. Je verdichteter ein Werk, umso mehr gefällt es mir. Es gibt lange Erzählungen anderer Autoren, wie zum Beispiel Hermann Hesse, wo jeder denkt, das wäre ein Roman, doch nein, es steht Erzählung darunter.

Nichtsdestotrotz wird es, so habe ich es vor, mindestens einen Roman von mir geben.

Was danach wird, mal schauen. Ich habe oft einige Ideen im Kopf, weiß aber erst weit nach der Hälfte, in welche literarische Form es eingehen wird.

Die Arbeit an einer Novelle bedarf bei mir nicht weniger Aufwand, als andere die Zeit für einen Roman brauchen. Ich schreibe nicht schnell, überarbeite oft, verfeinere, verschönere. Mir gilt neben der Handlung beim Schreiben auch, es in einem schönen Stil zu tun. Warum einen überlangen Roman schreiben, und ihn mit Dingen anfüllen, die nicht unmittelbar zu der Geschichte gehören, die ich eigentlich erzählen will. Von wie vielen Autoren schafft es ein Mensch, wirklich alles zu lesen? Wenn das gesamte Lebenswerk eines Autors 2000, 3000, meinetwegen 4000 Seiten beträgt, kann er darin nicht unterbringen, was er mitteilen möchte? Lyriker brauchen weit weniger Seiten. Aber freilich will ich nichts ausschließen, auch nicht mal einen Tausendseitenroman. 

7) Der erwähnte Roman, welche Bedeutung besitzt er inmitten der Novellen? Gibt es Querverbindungen zu ihnen? 

Dieser begonnene Roman hat erst einmal nichts mit den griechischen Mythen zu tun. Er schildert eine ganz diesseitige Jugend, bedrückt erlebt, die sich durch einen guten Umstand völlig ändert. In der neuen Welt, in die meine Hauptfigur gerät, wird es Fantasie geben. Dort bekommt der Leser schließlich den Urgrund für mein Schreiben zu spüren und sieht möglicherweise die Quelle für alle anderen erschienenen und noch erscheinenden Texte.

Mit der Niederschrift dieses Romans begann ich während meiner Zeit in Peru, wo ich ein halbes Jahr lebte, schrieb daran weiter anschließend in den Monaten auf den Philippinen. Zurück in Deutschland unterbrach ich die Arbeit, es entstanden erstmal die ersten griechischen Mythengeschichten.

Vielleicht ist alles, was ich schreibe oder schreiben werde, Teil eines großen Epos. Jedes Einzelwerk steht erst einmal für sich. Ich spüre aber einen inneren Zusammenhang, der die bisherigen Werke miteinander verbindet. In mir lebt die Vorstellung, dass all die Teile am Ende eines hoffentlich unendlich langen Lebens – da halte ich es mit Elias Canetti, dem größten Todesverächter unter den Schriftstellern – sich dann logisch ineinander fügen. Eine Ahnung davon könnte sich in dem erwähnten Roman andeuten. Auch alles Nichtgeschriebene würde sich in der Fantasie dort angliedern, ein Kosmos für den Leser, der sich darein begibt. 

8) Woher kommt Ihr Hang zu Mythologischem oder Fantastischem? Darf man sich in der heutigen hochpolitischen Zeit literarisch stark fiktional zurückziehen? Und wenn ja, wie behalten Sie Bezüge zur Wirklichkeit?

Das Fantastische war sicherlich schon in mir angelegt, seit ich die ersten Märchen in die Hand bekam. Übrigens eine ganz frühe Liebe galt Alexander Wolkows „Zauberland“- Reihe, für die ich mit elf Jahren eine eigene Geschichte entwarf. Märchen und Mythen haben etwas Bildhaftes an sich, und ich bin ein durch und durch visuell veranlagter Mensch. Das gilt natürlich auch für das Schreiben. Vielleicht fing ich an zu schreiben, weil ich mir in der Schule einreden ließ, nicht malen zu können.

Mit den mythologischen Novellen ist es einfach, die Vorliebe nach Bildhaftem auszuleben. Die verschiedenartige Welt meiner Traumreiche wird man vermutlich in allen meinen Büchern finden. Ideen für Bücher zeigen mir immer wieder solche fantastischen Welten, und möchten sich unter die Wirklichkeit mischen. Manchmal überfällt mich ein Hang zur puren Ernsthaftigkeit, doch nicht lang und das Fantastische meldet sich zurück, so real eine Handlung auch angelegt sein mag. Genauso umgekehrt, bei meinen griechischen Mythen. Was erst einmal rein fantastisch anmutet, ist mir als Autor absolut existent, einfach weil ich meine Wirklichkeit als lebender Mensch aufschreibe. Die Figuren der Mythologie beispielsweise sind mir greifbarer, als die Mehrzahl all der verstorbenen Menschen, deren Namen keiner mehr kennt.

Politische Zeiten gab es immer, in allen Jahrhunderten. Für mich sind Fiktionen kein Widerspruch dazu. Ein Buch ist für mich nicht gut, wegen seiner politischen Aussage. Je unpolitischer es daherkommt, je allgemeingültiger, desto aussagekräftiger erscheint es mir. Es hat dadurch die Möglichkeit, in allen Zeiten zu wirken, nicht nur in der Zeit des Niederschreibens. Ich vermeide daher absolute Bezüge. Einen heutigen Politiker kennt bald keiner mehr, ein Herakles wird ewig bleiben.

9) Zum Abschluss eine kurze Frage nach den vier Lieblingsbüchern: Welche vier Bücher haben Sie geprägt, waren oder sind Ihnen die liebsten?

Vier sind wenig. Ich möchte viel mehr aufzählen. Doch werde ich dann vier deutschsprachige Dichter auswählen, die mich aus unterschiedlichen Gründen positiv erschüttert haben.

Da wäre Albert H. Rausch: „Die Geschenke der Liebe“ (1952). Ich nenne diesen Titel, dem ich andere zur Seite stellen könnte, sein spätes Hauptwerk, weil darin zusammengefasst die ganze Welt umfangen ist, die er in mir weckte.

Dann nenne ich, der ich Lyrik liebe, einen Dichter, der als Meister verehrt wurde: Stefan George: „Gedichte“, keinen speziellen Band, dass kann man bei einem Gedichtband selten tun. Das ist auch eine nostalgische Wahl eines Menschen, der sich vielleicht im Jugendalter einen Meister gewünscht hätte.

Diese Jugend in mir, den Wunsch nach einem schützenden Ort und der dann doch siegende Aufbruch in die Welt der Literatur bewirkte auch bei mir Hermann Hesse: „Narziß und Goldmund“ (1930). Und auch, wenn es heute belächelt wird, sein Pazifismus, der mir den Weg wies.

Als vierten möchte ich einen beinahe unbekannten nennen, Erich Ebermayer: „Kampf um Odilienberg“ (1929), was das beste seiner Bücher ist, neben leider vielem nicht Gelungenem. Doch dieser Roman eines „vielleicht“ idealen Schulwesens (Reformator Gustav Wyneken) zeigte mir, was ich in der eigenen Schulzeit schmerzlich vermisste.

Leider darf ich ja nicht mehr nennen, Großes, wie wenig Bekanntes.

 

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