Es ist die Leere des Sichtbaren, des nicht Benennbaren. Was hier verboten, ist dort legal, Geldströme sind grenzübergreifend neutral. Der Kleinkriminelle ist nur ein Parasit am Körper des großen Geschäfts. Zugang und Einblick bleiben ihm versperrt.
Die Unruhe stand Stern ins Gesicht geschrieben. Die Streife müsste in 5 Minuten durch die Koloniestr. kommen. Eine Woche lang hatte er alles vorbereitet, Nach für Nacht, regnerische Tage und jetzt das.
„Komm, halt das verdammte Ding gerade, so schaffen wir das nie“, zischte Stern seinen Partner an und schob sich die Mütze tiefer ins Gesicht.
„Dich lachen doch die Bullen aus, wenn sie sehen, wie du hier rummachst.“
„Halts Maul“, brummte Freddy, „du siehst doch, was hier los ist, halts Maul.“
Er ließ sich nicht bei der Arbeit stören. Das Schloss war stärker als erwartet. Ein Wagen bog um die Ecke. Quietschende Reifen, die Scheibenwischer zirpten auf der nassen Windschutzscheibe.
‚Wenn uns jetzt noch einer sieht‘, dachte Stern, blickte verächtlich auf Freddy und knipste die Taschenlampe wieder an.
„Komm, Freddy, versuchs noch mal!“
Wieder Stille, nur das monotone Nieselgeräusch und das Kratzen von Werkzeug auf Metall.
„Alles klar!“ triumphierte Freddy.
Das Schloss war geknackt. Er strich mit der Hand über seine Bartstoppeln und schob sich durch den Türrahmen. Die Tür quietschte in den Scharnieren. Sie blickten sich unruhig in der Halle um. Nichts zu sehen.
„Hoffentlich pennt der Nachtwächter, soll ja ne taube Nuss sein.“
„Na, wieder Muffen sausen?“ schnarrte Stern.
Er hatte wieder diese Scheißlaune, der dicke Schädel von letzter Nacht machte ihm noch zu schaffen. Mit ihm war nicht zu reden. Harry hatte wieder solche Anspielungen wegen Susi gemacht. ‚Das Aas‘, dachte Stern. ‚Denkt, der kann sich alles erlauben mit seiner billigen Pinte.‘
Sie durchschritten den Korridor nach rechts. Die milchige Notbeleuchtung machte die Taschenlampe überflüssig, bot aber auch keinen Schutz.
Freddy zurrte seine Jacke zurecht. Die Bewährungsstrafe saß ihm noch im Nacken.
Er hatte seine alte Ruhe verloren. Zu nervös, zu viele Durchhänger. Er hatte sogar angefangen, Selbstgespräche zu führen.
Jetzt an der Hütte des Nachtwächters vorbei. Alles war ruhig. Es schien, als könnte man das Atmen im ganzen Raum hören.
Sie mussten vorsichtig sein mit ihren Kreppsohlen auf dem PVC-Belag. Sie duckten sich unter dem Fenster des Nachtwächters, schlichen darunter vorbei. Das Licht brannte, zum Glück war die Tür angelehnt. Sie konnten unbemerkt vorbei. Stern blinzelte durch den Türspalt, wagte dann mutig einen Seitenblick durchs Fenster. Stern wurde blass. Er blieb für einen Moment wie versteinert, drehte sich dann um und fixierte Freddy.
„Der Typ ist weg!“ schnaubte er.
***
Ein Auszug aus Stern & Freddy, eine Gaunerkomödie von Andreas Göx. E-Book, Books on Demand (2017)
Es sind die 1990er, das heißt Globalisierung und organisierte Kriminalität. Das ehrliche Handwerk ist bedroht, der Kleinkriminelle sucht Nischen, nur die persönlichen Kontakte können einen über Wasser halten. Das ist die Welt von Stern & Freddy. Eine vergessene Welt: D-Mark Zeiten, gelbe Telefonzellen, Tonbänder, Schreibmaschinen und Anrufbeantworter mit Fernabfrage. Ohne Handy, ohne Netz, wie geht das alles ohne zu googeln?
Stern & Freddy ist die Fortsetzung der fotografischen Arbeit von Andreas Göx zum Thema Stadtemotion.