Mein Vater hatte eine kleine Lieblingsstute, die er von einem sehr schönen arabischen Hengste belegen ließ, um von ihm ein Reitpferd für sich zu erzielen. Sanguinisch, wie er in all seinen Plänen war, sprach er nun tagtäglich von seinem Reitpferde, mit einer Sicherheit, als ob es schon großgezogen und zugeritten wäre, und nur noch gesattelt und aufgezäumt zu werden brauche, um bestiegen zu werden.
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Der Verfasser des ‚Tristram Shandy‘ zeigt uns die verborgensten Tiefen der Seele; er öffnet eine Luke der Seele, erlaubt uns einen Blick in ihre Abgründe, Paradiese und Schmutzwinkel und läßt gleich die Gardine davor wieder fallen.
Heinrich Heine
Das Buch ist eine ebenso wilde wie witzige Abschweifung über Ausschweifungen, Philosophie sowie über Familien-, Kunst- und Kriegsgeschichte in der Tradition von Rabelais und Cervantes. Als Romanheld bringt es Tristram Shandy nur bis zur ersten Hose, die den Kleinen damals im Alter von vier bis fünf Jahren angezogen wurde. Dafür beginnt seine Karriere früher als gewohnt, gleich mit der Zeugung. Als Erzähler führt er ein übermütiges Eigenleben, und trotz seinem bösen Husten ist er kein Griesgram. Er setzt sich die Narrenkappe auf, reißt hier ein Kapitel heraus, weil es so gut sei, dass alle anderen dagegen abfielen, läßt dort eine Seite frei, damit der Leser darauf ein Bild seiner Geliebten malen kann; verhökert mittendrin die Widmung des Werkes meistbietend, verstrickt sich stehenden Fusses in monströse Abschweifungen, setzt die buntesten fremden Textflicken ein und stellt immerzu die Chronologie auf den Kopf. Jede Linearität der Erzählung ist aufgekündigt; dafür werden wir ständig auf den Prozess, den Moment des Schreibens verwiesen. Das Medium ist die Botschaft. Seine Vorbilder sind Rabelais, Erasmus, Montaigne oder Burton. Die Diatribe des Letzteren gegen die grassierende Unsitte des Plagiats hat er wortwörtlich: plagiiert. Kein Wunder, daß ihn viele experimentierfreudige Romanciers der Moderne und Postmoderne als Ahnherrn betrachten. Neben dem Rolls Joyce und Beckett sicher ein Fixstern am Literaturhimmel.
Auch heute noch, nachdem er sich 200 Jahre in der Lesewelt befindet, gilt von Laurence Sternes ‚The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman‘ das Urteil, daß es zu den 10 größten Büchern gehöre, die bisher in englischer Sprache geschrieben worden sind.
Arno Schmidt
Zum 250. Todestag von Laurence Sterne hat der Berliner Galiani Verlag eine Überarbeitung von Michael Walters Sterne-Übersetzungen als feine Werkausgabe veröffentlicht. In den 1760er Jahren sorgte Sterne in London mit seinen süffisant-frivolen Werken für Aufsehen, erklärt Sylvia Prahl in der taz:
Er war ein „Salonlöwe, der sich um Gattungskonventionen des sich gerade eben etablierenden Romans nicht scherte, Leser mit seitenlangen Satzgirlanden selbst zum Abschweifen verführt, und dessen eigentümliche Interpunktion eine weitere Geschichte erzählt – wenn man sie hören will.
Werner von Koppenfels führt in der NZZ aus: „Paradoxie, die durch Humor beglaubigte Koexistenz des Unvereinbaren, war Sternes literarisches Lebenselement. Zartheit und Zynismus, geistiger Höhenflug und kreatürlicher Absturz, Spiel und Tod sind im ‚Tristram Shandy‘ wie in der ‚Empfindsamen Reise‘, zwei Texten aus einem Guss, aufs Engste benachbart.“ Für die FAZ bespricht Jürgen Kaube die Galiani-Ausgabe und freut sich besonders über Sternes Briefe. Deutschlandfunk Kultur bietet Michael Langers „Lange Nacht“ über Laurence Sterne zum Nachhören.
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