Apfelbäume

Abends sitzt er bei lauem Wetter gerne an der nahen Ruhr, die einst so tot dalag, nun aber ein neues Leben erhalten hat. Wenn in den anderen Teilen der Republik die Flüsse über ihre Ufer treten und die Innenstädte fluten, kann er hier sitzen. Renaturierung macht es möglich. Am Strand, wie er es gerne nennt. Über ihm fliegen die nächtlichen Fledermäuse, drehen ihre ausgezackten Runden und schnappen all die Insekten, die in der Hoffnung der Dunkelheit dort flattern. Neben sich hat er eine Flasche Rotwein stehen und eine nette Frau sitzen. Eine echte Freundin, von denen gibt es nicht viele.

Die Worte wechseln, unterbrochen von einigen Telefonaten lassen die beiden die letzten Tage, ihre Erlebnisse und Taten Revue passieren. Gemütlich aneinander gelehnt können sie ihre Nähe spüren, wissen, dass dies wahrer Luxus ist. Der Wein aus dem Friaul schmeckt herb und gewöhnungsbedürftig. Mit dem zweiten Schluck allerdings hat sich der Gaumen an diesen Genuss gewöhnt, will mehr.

Herr Nipp hat vor einigen Tagen einige Apfelbäumchen gekauft, nicht einfach so, das könnten wir uns bei diesem Kauz auch kaum vorstellen. Er muss hiervon erzählen und lässt sich durch keine Unterbrechung davon abhalten. „Die beiden züchten alte Apfelsorten, die kennt man noch nicht einmal von Namen. Habe sie gefragt, ob sie was für meinen Vorgarten haben und tatsächlich wurden mir verschiedene Sorten angeboten. Da ich nicht weiß, wie sie schmecken könnten, Geschmacksbeschreibungen sind schließlich immer fraglich, musste ich wohl oder übel nach den Namen gehen und die finde ich so klasse, dass ich nicht anders konnte. Da gibt es dann keinen Braeburn oder Cox Orange, keine Pink Lady. Die kann man schließlich auch in jedem Kaufhaus erwerben. Die schmecken alle gleich – gleich langweilig und geben uns nur eine Erinnerung an das, was Apfel eigentlich ist: eine Geschmacksexplosion.“ Er steht auf, geht näher an das in der Nacht blinkende Wasser heran, betrachtet eingehend die Reflexionen und ihren Rhythmus. Verliert sich in der eintönigen Vielfalt, denkt an seine neuen Vorgartenbäume und wie er sie gepflanzt hat. Die Hibiskusbüsche waren im Winter eingegangen, hatten das Zeitliche gesegnet. Bis Ende Mai hatte er ihnen noch die Chance gegeben, sich zu erholen, zumindest einen Trieb zu zeigen. Dann wären sie stehen geblieben, so aber musste er endlich handeln. Die Strünke wurden ausgegraben und der Boden durch Pflanzerde ersetzt, dann die neuen Bäumchen eingepflanzt und eingeschlämmt. Der eine Züchter hatte ihm noch den Tipp gegeben, den Boden gut zu düngen, damit die neuen Mitbewohner auch gut gedeihen könnten. Im Herbst sollten sie zum ersten Mal beschnitten werden und Stützen würde er noch schweißen lassen, damit die Form erhalten bleibt. Zumindest für die nächsten Jahre war das wichtig. „Ich habe mich also für eine Rote Walze und eine Weiße Schnauze entschieden, alte seltene Sorten. Bin total gespannt auf die Früchte. Und als ich sie abgeholt habe, stand da noch so ein schöner U-förmiger Baum herum, den habe ich gleich auch noch genommen. Einen Zuccal Magglio aus dem Rheinland.“ Dass seine Gesprächspartnerin zwischendurch ein langes Telefonat geführt hat, ist ihm gar nicht aufgefallen. Inzwischen ist es beiden kalt geworden, sie stehen auf und schlendern langsam den Wohnungen entgegen. Plötzlich gleitet Herr Nipp aus, verliert den Halt und liegt lang auf dem Boden. Irgendjemand hat einen Apfelnürsel weggeworfen. Granny Smith.

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Haimo Hieronymus präsentiert zudem Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

In 2018 kommt etwas Gewichtiges auf Sie zu. Zyklop I ist mit einer partikularen Sichtweise eine ebenso wunderbare, wie irritierende Erfahrung. Das eine ist nicht vom anderen zu trennen, denn Haimo Hieronymus will unbestreitbar Schönheit schaffen und er will hier nicht weniger als von allem erzählen: Vom Großen, Ganzen, vom Kosmos, von der Schöpfung. Gar vom Leben selbst, indem er in die Vollen greift, ohne Angst, etwas falsch zu machen. Kunst erkennt man daran, daß sie das Ewige sichtbar macht, Bilder werden zu einem idealen Erkenntnismedium. Zyklop I ist ein sakrales Kunstprojekt ohne religiöse Dogmen.

Zur Subscription freigegeben: Zyklop I, Photobuch von Haimo Hieronymus, Edition Das Labor. Erscheint im September 2018 in einer limitierten Auflage von 100 Exemplaren. Freunde und Förderer werden im Katalog mit einer Würdigung dokumentiert.

Anfragen zu Zyklop I und den bibliophilen Kostbarkeiten über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.