Feuer glimmen. Silben stieben auf. Sätze wärmen mit ihren imaginären Bildern, die sich im Leser ausbreiten wollen. Denn nicht anders entsteht Lyrik. Der Dichter legt nur Scheite auf, hält die Flammen wach. Drückt sie wieder nieder, sprüht Kühle, lässt uns zuweilen starr zurück. Um schon auf der übernächsten Seite wieder soviel Luft ins Wortfeuer zu geben, dass die Glut erneut zum Lodern kommt, Gesang sich ausbreiten kann, Rhythmus kräftig schlägt, eine Stimme uns mitnimmt ins Helle: André Schinkels eindrückliche Stimme. Bodenkunde. Einmal Mitteldeutschland durchgraben bitte. Luftfunde. Hab ich das je so betrachten können? Schattenschauspiel. Wer spielt wen. Ein Furiosum in 77 Teilen. Wer dieses Buch auf einen Ritt liest, wird atemlos zurückbleiben. Wer sich Zeit lässt zum Zurückkehren, wird aus der Tiefe immer wieder ans Licht zurück finden. Auf dem Weg von Liebe, die wie „das Wehen verlassener Spinnennetze im Hinterhofviereck“ ist, bis zum Lob der Liebsten als „Lilie aus Lodern und Schnee“.
Bodenkunde? Der Hallenser Dichter, im Vorberuf wirklich Archäologe, gräbt in seinem neuen Gedichtband dem Leben nach. Nicht alles, was er findet, kann er deuten, kann er ordnen, mag er sich ins Innere nehmen. Denn da bleibt auch der „Geschmack unserer Schuld auf der Haut“. Noch einmal aufsteigen lässt er die „Rosenkäfer im Wind der Verdammnis“, Bilder, die weiter greifen, als der Verstand bereit ist, mitzugehn. Sich zurückzieht, einzig den Klang noch schwingen lässt. Das Schwebende, Schwingende aber ist rar in diesem Band, der Gedichte aus zehn Jahren versammelt. Ausflüge werden zur inneren Einkehr. Von Sepien singt Schinkel, jenen merkwürdigen Meerwesen, die ihre Farbe ihrem Gemütszustand anpassen können, ihrem Beutedrang. Deren Form nicht Fisch noch Krake gleicht, die gleichsam Unterwasserzwitterwesen sind, wie wir vielleicht unbeabsichtigt an Land, mit Körpern, zum Verfall bestimmt, und Seelen, die sich selbst nur schwer erkennen können. Diese Texte zählen zu den intensivsten in diesem Band, weil sie das Ich in Bezug setzen zu anderer Kreatur, Grenzen zu verwischen trachten, Alp und Traum als Maße setzen für den eignen Tag. Und die eigene unbändige Liebessehnsucht, deren Erfüllung so selten gelingt – und vielleicht das Ende der Dichtung bedeutet.
Die Landschaft spielt hinein in Schinkels „Bodenkunde“. Neunseenland vor den Toren, der Brocken. Kohle gebendes Schwarzland: ihm gewinnt er ein „Mooreichenlied“ ab. Im Märkischen ist er auf der Suche nach dem „Testton des Alls“. Wer hat den bisher vernommen? Bördelicht, unter dem selbst die Lerchen im Schlussangebot sind. Und dazwischen immer wieder der Einbruch der Zeit. „Herbst, das Knacken der Haut wiederholt sich“, heißt es in „November VI“. Mythen brechen ins Licht, schwer zu entziffern, zu vermuten nur, woher sie sich aufgemacht haben, vielleicht von „den minotaurischen Weiden“. Ist das das Leben? Bodenkunde: wer sieht, wo wir stehen, noch so viel wie der Dichter André Schinkel. Wer setzt der Liebe noch solche Denkmäler wie „Die Dünung des Leibs“. Und dem Freunde Erinnerung wie in „Sostenuto für Wolfgang Hilbig“. Schon allein dieses Stück Text-Musik macht Schinkels „Bodenkunde“ zum Ereignis. Ein Ereignis, auf das sich der Leser einlassen muss. Das ihn in den Bann zu ziehen vermag, anzieht, abstößt, ratlos zurücklässt, groß und sicher macht, klein und demütig: Sprache, mit dem Boden eins, aus dem sie kommt.
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Bodenkunde, Gedichte von André Schinkel, Mitteldeutscher Verlag Halle 2017
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