Wie die Strategie „Product as a Service“ die Wirtschafts- und Arbeitswelt verändert
Die Digitalisierung wirbelt nicht nur die Arbeits- und Lebensweisen durcheinander. Sie schafft auch neue Geschäftsmodelle. Die Konsequenzen dieser Veränderungen sind den meisten nicht klar. Damit dieses Wissen nicht nur den Experten vorbehalten bleibt, wollen wir uns weiter darum bemühen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Wir könnten es uns einfach machen und definieren, die Disruption sei die Übertragung des Convenience-Modells auf die Beziehung zwischen Kunden aus dem Bereich von Wirtschaft, Gewerbe und Industrie. Aus dem Essay „Die ‚Convenience Trap‘ und der Verlust an Selbstbestimmung“ wollen wir das Beispiel der Kaffeemaschine heranziehen und noch etwas näher analysieren, um danach zu einigen verallgemeinernden Überlegungen zu kommen, die die revolutionäre Sprengkraft hinter diesem Konzept aufzeigen.
Das Kaffeemaschinenbeispiel
Folgendes hatten wir im o.g. Essay formuliert:
Die „Disruption“ ist die Idee der „Convenience“ aus der Welt des Konsums in die Welt der Produktion übertragen. Das beste Bild dafür ist die Kaffeemaschine, die das Bäckerkaffee an der Ecke nicht mehr als Maschine erwirbt, sondern diese in Form eines Anteils an der verkauften Kaffeeportion bezahlt. Der Nutzen dieser Bezahlweise ist für den, der die Maschine aufgestellt hat, auf den ersten Blick nachvollziehbar. Zu diesem Thema und seinen Auswirkungen werden wir an anderer Stelle zu sprechen kommen. Schließlich bringt dieses Verfahren ein ganzes Geschäftsmodell zum Einsturz.
Es stellt sich die Frage, welche Vorteile diese Form der Bezahlung der Kaffeemaschine für die Beteiligten hat. Dazu wollen wir uns erst den Kunden „Bäckerkaffee“ wie im Zitat und in einem zweiten Schritt den Kunden „Unternehmen“ anschauen.
Der Kunde „Bäckerkaffee“ hat folgende beiden Hauptvorteile: Zum einen muss das Kapital, die Maschine zu erwerben, nicht vorgestreckt werden. Das ist gerade für die zunehmende Filialisierung in der Gastronomie, zu dem erweitert auch das Bäckerkaffee zählt, ein starkes Argument. Eine geringere Mittelbindung schafft Spielräume für die Expansion; eine gute Hochleistungsmaschine, die alle Kaffeedarbietungsarten in guter Qualität zubereiten kann, ist nicht gerade billig. Da werden locker fünfstellige Eurobeträge aufgerufen.
Nun mag man einwenden, diesen Effekt könne man auch durch Leasing oder Miete erreichen. Das ist nicht ganz korrekt, was die nachfolgende Überlegung aufzeigt. Besonders, weil Leasing und Miete die Kreditlinien des Kunden belasten und daher auch ein Element der Mittelbindung in sich tragen.
Zum anderen wird das sog. „Beschäftigungsrisiko“ der Kaffeemaschine, das dadurch entsteht, dass niemand die Abgabemenge an Portionen Kaffee vorhersagen kann, die an dem jeweiligen Standort des Kaffees verkauft werden, ebenfalls auf den Lieferanten übertragen. Dadurch, dass der Gebrauch der Maschine auf die Portion des durch sie gebrühten Kaffees umgelegt wird, bürdet der Eigner des Bäckerkaffees auch das betriebswirtschaftliche Refinanzierungsrisiko der Investition in die Maschine dem Lieferanten der Maschine auf. Dieses Risiko kann er nur teilweise abfedern, indem er die Maschinennutzungsentgelte an die Zahl der abgegebenen Portionen koppelt. Dabei ist zu beachten, dass in dieser Gebühr auch der Service der Kaffeemaschine eingerechnet ist.
Wenn wir das Beispiel „Unternehmen“ heranziehen, werden wir rasch erkennen, dass die Vorteile des Kaffeemaschinenkunden im Wesentlichen ähnlich. Es wird die Mittelbindung vermieden, und die Kosten der Maschine samt Service werden über die abgegebenen Portionen als Entgelt abgerechnet.
In diesem Fall hat der Kaffeemaschinenhersteller jedoch die Möglichkeit, seine Services anzureichern, da der Abnehmer „Unternehmen“ aus Gründen der Bequemlichkeit (wieder kommt die „Convenience“ um die Ecke geschlichen!) in der Regel kein großes Interesse hat, auch die Rezepturbestandteile des Kaffees bzw. Heißgetränks (Kaffeebohnen verschiedenster Sorten, Milch, Zucker, evtl. Kakaopulver und Tees bis hin zu Suppen, wenn die Maschine das ebenfalls bereitstellt) separat einzukaufen. Das ist schließlich nicht sein Haupt- oder Kerngeschäft. Auf diese Weise kann zusätzlicher Umsatz generiert werden, und zugleich können die Servicetechniker einen eigenen Umsatz erwirtschaften, indem sie die Maschinen mit ebendiesen Produkten bestücken.
Natürlich erhöht sich durch diesen Zusatzservice auch die Kundenbindung. Noch interessanter wird das ganze Spiel dadurch, wenn über geeignete Auswertung der Daten und durch entsprechende Rezepturvorschläge die Abgabenformen und -mengen der Maschine durch den Hersteller mit beeinflusst werden kann, z.B. durch entsprechende Beratung durch den Servicetechniker, der dadurch zusätzlich die Eigenschaft eines Verkaufsfahrers gewinnt (die wir von Bofrost und Co., auch Lieferanten aus dem Conveniencesegment, das wir im Schwesteressay bereits besprochen haben).
Dabei treten wiederum Big Data und das Internet der Dinge hinzu, da die Kaffeemaschine selbstredend in der Lage ist, die Abgabedaten komplett an die Herstellerfirma zu übertragen. Das ist sozusagen ein Abfallprodukt der Servicediagnostik, die der Kunde heute schließlich erwartet. Auf diese Weise ist es schließlich möglich geworden, dass der Servicetechniker bereits vor dem Kunden weiß, dass die Maschine ein Problem hat und gleich das richtige Ersatzteil mit sich führt – oder den bereits ausgegangenen Kaffeevorrat aufstockt.
In diesem zweiten Beispiel wird man sicherlich erkennen, dass die Disruption durchaus nicht nur Nachteile für den Hersteller hat. Im ersteren Beispiel lässt sich das sicherlich nicht so eindeutig festhalten.
Disruption in der Produktion und bei sehr teuren Wirtschaftsgütern
Prinzipiell lässt sich das Geschäftsmodell Disruption auf alle Bereiche ausdehnen. Es funktioniert immer, wenn die Leistungsabgabe einer Maschine vernünftig auf ihre Nutzung verteilt werden kann.
Stellen wir uns daher kurz vor, dass ein großer Fahrzeughersteller an einen Hersteller von Bearbeitungszentren mit dem Wunsch herantritt, im neuen Auslandswerk in China zur Herstellung von Elektrofahrzeugen die Maschinen nicht zu erwerben, sondern im Wege eine sog. „Pay-per-Use“ Verfahrens aufzustellen. Damit ist nach „Disruption“ auch der zweite Fachbegriff genannt, der übersetzt „Bezahlung bei/nach Benutzung“ meint und diese „Product as a Service“ (= Produkt als Dienstleistung oder die Dienstleistungseigenschaft des Produkts) Idee am besten umgreift.
Der Nutzen für den Automobilbauer ist auf den ersten Blick erkennbar: Die Kosten der Finanzierung, die Bindung von Kapital und das Beschäftigungsrisiko der Produktionsgüter werden auf den Hersteller des Bearbeitungszentrums abgewälzt. Dadurch gewinnt der Abnehmer und verliert der Lieferant. In der Tat ist diese Art des Verkaufs enorm kundenfreundlich.
Allerdings kann auch der Lieferant gewinnen, indem er Teile des Risikos in die Gebühr einrechnet, die je Teil abgerechnet wird, das die Maschine produziert. Auf diese Weise kann im Laufe der Lebenszeit der Maschine durchaus mehr Geld verdient werden, als wenn die Maschine einfach nur verkauft und nachher instandgehalten (Servicevertrag) worden wäre. Der Hersteller des Bearbeitungszentrums könnte sich außerdem überlegen, welche zusätzlichen Services er seinem Kunden rund um Maschine/Bearbeitungszentrum anbieten könnte. Schließlich gewinnt der Lieferant immer dann, wenn er durch das Eingehen auf die Wünsche des abnehmenden Automobilherstellers dem Mitbewerber einen Großauftrag wegschnappt.
Eines der Angebote könnte zum Beispiel sein, die Führung bzw. Bedienung des Bearbeitungszentrums zusammen mit der Nutzung, Service und Ersatzteilen und anderen Services komplett als Leistung anzubieten. Damit entstünde eine völlig neue Zusammenarbeit in der Fertigung, die dazu führen könnte, dass das Personal in der Produktion im einen oder anderen Fall gar nicht mehr vom Autoproduzenten kommen würde. Dieses Szenario zu Ende zu denken, dürfte sowohl den Personalabteilungen der beteiligten Unternehmen als auch den Arbeitnehmervertretern und -organisationen schlaflose Nächte bereiten – und sollte das auch.
Wer hat die Macht: Lieferant vs. Kunde
Es ist klar, dass sich aufgrund dieses Geschäftsmodells die Marktmacht und die Kunden-/Lieferantenbeziehungen grundstürzend verändern werden. Dies in den Konsequenzen und Verästelungen zu durchdenken, ist nicht nur eine Aufgabe der betroffenen Geschäftspartner. Die Umwälzungen werden unsere Art des Wirtschaftens so tiefgreifend verändern, dass kein Bereich unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens davon verschont bleibt.
Die Herausforderung, die zugleich eine Bedrohung ist, die auf uns zukommt, liegt u.a. darin begründet, dass eine völlige Abkehr vom über Generationen gewachsenen Weg geschieht, wie Unternehmen Wirtschaftsgüter verkaufen und liefern, also Kauf, Verkauf, Lieferung und Wartung zu organisieren. Die bestehenden Unternehmen werden mit dieser neuen Art des Geschäftemachens in große Schwierigkeiten kommen, weil ihre Organisation und ihre Absatzkanäle darauf überhaupt nicht ausgerichtet sind. Die Veränderung, die notwendig ist, erfasst alle Unternehmensbereiche: Vertrieb, Service, Finanzierung, Technik, Produktentwicklung – samt ihrer Priorisieung.
Es ist erkennbar, dass die Angreifer neue Unternehmen sein werden, deren Geschäftsmodell von vornherein „disruptiv(e)“ ausgelegt ist. Disruption und Convenience sind schon systemisch eng mit einander verwandt: Der Kunde und seine Bequemlichkeit stehen im Zentrum des Handelns. Die moderne Datenverarbeitung, das Internet der Dinge und Big Data stellen Instrumente und Methoden bereit, um diesen beiden Geschäftsmodellen, die nur zweiten Seiten derselben Medaille sind, zum endgültigen und vollständigen Durchbruch zu verhelfen. In der Finanzindustrie kommt noch die Blockchain-Technologie hinzu, zu der wir in einem weiteren Essay einige Anmerkungen machen und Überlegungen anstellen werden.
Im sog. „Consumer“-Bereich können wir die Veränderungen bereits erkennen. Der regionale Fachhändler und Handwerker mit Ladengeschäft verliert an Bedeutung, der Internethandel übernimmt vermehrt Marktanteile. Gleiches gilt für Gastronomie und Lebensmittelhandwerk. Die Verarmung der Fläche in der Versorgung mit grundlegenden Dienstleistungen und Produktangeboten ist heute schon sichtbar. Das Ende dieser Entwicklung ist noch nicht absehbar.
Wer das regionale Angebot behalten bzw. stärken will, wird als Konsument seine Prioritäten neu setzen müssen. Solange der Geiz geil bleibt, lässt sich die Entwicklung nicht aufhalten. Für persönliche Beratung ist ein Obolus fällig, auch wenn manche Käufer das bisher nicht so ganz verstanden haben.
Es ist zu erwarten, dass der Absatz über Disruption bzw. sog. „Pay-per-Use“-Modelle in allen Geschäftsfeldern und Märkten zunehmen wird. Dieses Verfahren, höherwertige Wirtschaftsgüter zu nutzen, wird aus der Nische ins Rampenlicht treten. Jeder von uns hat dieses Modell schon einmal genutzt, indem er ein Auto oder einen Transporter gemietet hat. Nur hat man das damals nicht Disruption sondern Miete genannt, was u.a. daran liegt, dass die Abrechnung nach Kilometer in der Tagespauschale untergegangen ist.
Was wir erleben werden, ist, dass es keine Pauschalen mehr geben wird und zugleich der Kraftstoff oder der Strom Teil der Nutzungsgebühr sein werden, die wir über unser Smartphone abrechnen. Weitere Services wie Parkhaus etc. werden wir hinzubuchen können, das Internet der Dinge macht es möglich.
Wie wir gesehen haben, trifft diese Denkungsart alle Wirtschaftsbeziehungen gleichermaßen. Wir werden eine völlige Veränderungen unsere Kaufbeziehungen erleben – und niemand weiß, wer am Ende das Spiel gewinnen wird.
***
Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten – wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist. Die Redaktion verlieh Walter Stonet den KUNO-Essaypreis 2017 für den Essay Robokratie – Wie Social Bots die Demokratie manipulieren. Lesen Sie hier die Begründung.