Vorbemerkung der Redaktion: Über Kunst wird viel geschrieben. In den Feuilletons, in Fachzeitschriften, kunsthistorischen Seminaren, kulturpolitischen Ausschüssen oder in Kommissionen zum Thema ‚Kunst als Wirtschaftsfaktor‘. Aber wann wird einmal ganz grundsätzlich über Kunst nachgedacht, darüber, ob wir, wenn wir über Kunst reden, angemessen über Kunst reden? – Wir streiten zwar wie die Kesselflicker über Kunst, jeder hat seine ganz eigene Ansicht zu ihr. Aber alle Diskursteilnehmer verhalten sich dabei so, als gäbe es eine Art geheimen, unausgesprochenen Konsens, eine interkulturelle, überzeitliche Schnittmenge, die sicherstellt, dass dabei alle über das Gleiche reden. Stefan Oehm hat da so seine Zweifel. Ob wir angemessen über das reden, was alle Welt ‚Kunst‘ nennt. Ob das, worüber alle Welt redet, überhaupt etwas mit Kunst zu tun hat. Ob das, worüber alle Welt redet, von denen, die darüber reden, überhaupt expliziert werden kann. Ob alle, die über Kunst reden, wissen worüber sie reden. Ob alle, die miteinander über Kunst reden, auch über das Gleiche reden. Oder ob nicht vielleicht manche meinen, sie reden, wenn sie über Kunst, über etwas, wo sie doch eigentlich über nichts reden, aber keiner sich traut, das ihnen mal öffentlich zu sagen, weil man Angst hat, sich bis auf die Knochen zu blamieren. Um es vorweg zu sagen: Auch KUNO weiß nicht, worüber wir reden, wenn wir über Kunst reden. Stefan Oehm weiß nur, dass ein großer Teil derer, die über Kunst reden, einige grundlegende Erkenntnisse außer acht lässt. Und über genau die möchte er in einer Reihe von Essays reden:
„Was wollt ihr denn noch von der Kunst?“
Niklas Maak stellt Kulturschaffenden wie Kunstinteressierten in einem bemerkenswerten Artikel in der F.A.S. die Sinnfrage angesichts einer Kunst, die zunehmend mehr in die Fänge einer globalen Ökonomisierung gerät. Einer Kunst, die allerdings an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig ist, begibt sie sich doch bisweilen freiwillig dort hinein und beraubt sich, derart kommerziell gleichgeschaltet, weitgehend selbst der ihr innewohnenden Kritikfähigkeit.
Aber wovon spricht man überhaupt, wenn man von ‚der Kunst’ spricht? Es scheint, als gäbe es einen geheimen Konsens aller im engeren und weiteren Sinne am Diskurs Beteiligten darüber, was ‚die Kunst’ ist. Genau dies suggeriert auch die Frage von Niklas Maak. Wobei wir doch spätestens seit Wittgenstein wissen: Es ist ein Trugschluss, wenn man meint, beim Gebrauch eines Begriffs von dem exakt gleichen Gebrauch dieses Begriffs bei anderen ausgehen zu können. “Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ So Wittgensteins Diktum. Und der Gebrauch ist bei jedem, wenn auch vielleicht nur minimal, in der synchronen Betrachtung anders als bei anderen, ja, oftmals ist er sogar bei dem Einzelnen selbst von Gebrauch zu Gebrauch etwas anders – und in der diachronen Betrachtung potenzieren sich diese unterschiedlichen Gebrauchsweisen, sprich: Bedeutungen, ins Unermessliche.
Kunst ist nicht
Das im Gespräch explizit berücksichtigen zu wollen, würde nicht nur das Ende eines jeden Gesprächs bedeuten. Es würde ein Gespräch prinzipiell unmöglich machen. Um also eine Kommunikation grundsätzlich zu ermöglichen, lassen wir im jeweiligen Gebrauch des Wortes den Aspekt der unterschiedlichen Gebrauchsweisen erst einmal außer Acht. Stattdessen gehen wir, ganz intuitiv, von einem idealisierten Verständnis aus, das uns als Bedingung der Möglichkeit alltäglicher Kommunikation eine halbwegs kollisionsfreie Verständigung mit anderen sichert. Wir ignorieren also weitgehend die Bedeutungsunschärfen, die sich aus den individuell verschiedenen Gebrauchsweisen und dem entsprechenden individuellen Verständnis von den Worten ergeben. Aber manchmal kommt man nun mal nicht umhin, sich auf eine grundsätzliche Diskussion über die Bedeutung eines Wortes, also seines Gebrauchs in der Sprache, einzulassen. Denn nur dann wird man zum einen sicherstellen können, dass man nicht nur die gleichen Worte verwendet, sondern auch halbwegs den gleichen Gebrauch davon macht. Und zum anderen, dass man über das, worüber man redet, überhaupt so reden kann, wie man es tut.
Eben das ist bei der Kunst der Fall. Denn sie existiert nicht in der Weise, wie ein Stuhl existiert. Oder ein Tisch, ein Auto, ein Bild. ‚Kunst’ ist ein Allgemeinbegriff, eine Universalie. So wie es der ‚Markt’ ist, der ‚Mensch’, der ‚Staat’ oder die ‚Kirche’. Sie alle existieren nur durch uns so wie die Bedeutung eines Wortes nur durch unseren Gebrauch in der Sprache existiert. Wir hypostasieren, nutzen diese Allgemeinbegriffe wie deiktische Begriffe, die sich auf Dinge in der Wirklichkeit beziehen. Wir tun das sinnvollerweise, denn dies ermöglicht uns eben eine relativ problemlose Verständigung mit anderen. Aber das darf uns nicht dazu verleiten, anzunehmen, es gäbe diese Dinge wirklich: Allgemeinbegriffe haben kein physisches Pendant, sie beziehen sich nicht auf etwas, was einen sinnlich wahrnehmbaren, real existenten Seinszustand besitzt.
Deshalb gibt es auch die Kunst nicht. Zumindest nicht so, wie es uns unser laxer Sprachgebrauch glauben machen möchte: als ‚etwas’.
Das Wort, eine platonische Liebe
Warum wir aber nur zu gerne von der Kunst so sprechen, als hätte sie eine ontologische Existenz, liegt nicht allein an unserer sprachökonomisch begründeten laxen Redeweise – wir tun es auch, weil eine solche ontologische Existenz in einer anderer Gebrauchsweise des Wortes in manchen Fällen tatsächlich vorliegt: Als ‚Kunst’ bezeichnen wir auch ein real existierendes Werk.
Weil Sprache uns gefangen nimmt, sie unsere Wahrnehmung ganz wesentlich prägt, weil diese Art der Deixis uns so viel plausibler erscheint und so viel einfacher zu verstehen ist, übertragen wir in der Kommunikation der Einfachheit halber die eine Redeweise auf die andere. Und reden auch von ‚der Kunst’ so, als handle es sich um ein konkretes Objekt, das in der aktualen Welt real existiert.
Hier stehen wir nun mit beiden Beinen tief im gut 2500 Jahre alten abendländischen Schlamassel der Philosophiegeschichte, den uns Platon mit seiner Ideenlehre eingebrockt hat. Und von der wir seitdem nicht lassen können. Wir kommen immer wieder auf die Idee, ein Werk als ‚Kunst’ zu bezeichnen, weil wir beim Gebrauch der Allgemeinbegriffe an der Idee der abstrakten Idee hängen: dem Wesen einer Sache.
Das Wesen: Auch so ein enorm praktikables, aber rein gedankliches Konstrukt, bei dem wir gewisse allgemeinverbindliche Merkmale imaginieren, um etwas als etwas benennen zu können. In unserem Falle: als ‚Kunst’.
Wenn’s allerdings konkret wird, wenn also das Wesen der Kunst benannt werden soll, an dem ein Werk, in welcher Form auch immer, teilhat und es, so geadelt, als ‚Kunst’ bezeichnet werden kann, dann wird’s in der Regel heikel. Was allerdings nicht, wie mancher nun meinen könnte, an der Kunst liegt. Nein: Das Problem ist prinzipieller Natur. Denn schon der vermeintlich einfachere Versuch, das Wesen eines Stuhls zu beschreiben, lässt einen schier verzweifeln: Welche Eigenschaften kennzeichnen einen Stuhl denn unzweifelhaft, eineindeutig, für alle Ewigkeit, in allen sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten als ‚Stuhl’? Mir fällt spontan nicht eine ein. Also weg mit dem Wesen. Zumindest solange, bis jemand derart charakterisierte Eigenschaften für die verschiedenen Fälle verbindlich definieren kann.
Verführerische Rede
Seit ewigen Zeiten haben wir das unstillbare Verlagen, selbst das Unbegreifliche begreifen zu wollen. Neigen dazu, Gedachtes als Seiendes aufzufassen. Abstraktes als Konkretes. Und bannen es dann nicht ohne Grund in Worte. Geben den Dingen Namen, um sie sich uns anzueignen. Untertan zu machen. Dabei machen wir im Gebrauch keinen Unterschied zwischen den Worten, denen konkrete Existenzen, physische Objekte entsprechen und den Worten, bei denen dies nicht der Fall ist. Wie eben bei „der Kunst“. Eine Neigung, die durch die Tendenz der sprachlichen Ökonomie, solche Feinheiten im Gespräch geflissentlich auszublenden, tatkräftige Unterstützung findet. Was einerseits zwar eben die Alltagstauglichkeit der Sprache sicherstellt, aber uns andererseits auch dazu verführt, Worte für bare Münze zu nehmen. Im alltäglichen Gespräch ebenso wie im Feuilleton oder in philosophischen Diskursen:
Wir reden über die Dinge in einer Weise, wie sie prinzipiell nicht sein können. Aber nur weil wir so reden, sollten wir nicht auch so denken. Stellt sich nur die Frage: Wie sind die Dinge dann zu denken?
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Essays von Stefan Oehm, KUNO 2018
Die Essays von Stefan Oehm auf KUNO kann man als eine Reihe von Versuchsanordnungen betrachten, sie sind undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Er betrachtet diese Art des Textens als Medium und Movens der Reflektion in einer Zeit, die einem bekannten Diktum zufolge ohne verbindliche Meta-Erzählungen auskommt. Der Essay ist ein Forum des Denkens nach der großen Theorie und schon gar nach den großen Ideologien und Antagonismen, die das letzte Jahrhundert beherrscht haben. Auf die offene Form, die der Essayist bespielen muss, damit dieser immer wieder neu entstehende „integrale Prozesscharakter von Denken und Schreiben“ auf der „Bühne der Schrift“ in Gang gesetzt werden kann, verweist der Literaturwissenschaftler Christian Schärf. Im Essay geht die abstrakte Reflexion mit der einnehmenden Anekdote einher, er spricht von Gefühlen ebenso wie von Fakten, er ist erhellend und zugleich erhebend. Daher verleihen wir Stefan Oehm den KUNO-Essaypreis 2018.