Ich bin der HERR DER RINGELsocken. Mit meinem StrohHUT
sitze ich auf einer StufenMauer und schaue dem Leben zu.
Den Revolver, mit dem ich im DrogenRausch meine Frau
erschoß, trage ich nicht mehr. Als Waffe benutze ich nun
meine Brille mit KrankenKassenGeStell: Der BeOhbAchter
gilt als gefährlich, weil er nicht mithilft
die Welt und alles um sie herum zugrunde zurichten.
Zutiefst verunsichert singe ich HeimatLosenMelodien.
Dichten im elekTHRONischen Netz kam für mich nicht
in Frage, da ich mich als ThemenReiter und BauchSchläfer
der Erstellung der gaLEERie meiner toten Freunde ver-
schrieben hatte: Sie wollte ich, ihrer und meiner
Vergänglichkeit zum Trotz, wiederaufLEBEN lasse,
an sie wollte ich mich gebührend erINNERN.
Die Kraft der Bilder gab mir die Wörter zurück:
So machte ich mit BeTonung und WiederHolung
aus einem MoTief mein LeidMoTief. Selbstr mein
armseeliges Leben ohne AbendTeuer kann nun müthologisch
interprätiert werden. Doch durch meine GrossZügigKeit
weht ein wenig Kummer: Mit dieser Einstellung wurde aus
mir ein DurchSchnittsTyp mit grandioser Ausstrahlung.
Bunt und krampfhaft locker sichte ich
Lüderlichkeits-Material, meine vielseitigen Interessen
lenken mich dabei vom WESENtlichen ab. VerGnügungen
aus einer anderen Zeit wurden mein NationalTheater:
Durch HinEinSchlüpfen ins bANALe glaubte
ich mich rigoros zu verändern. Jedoch blieb ich immer
das gleiche ArschLoch: Weiche Schaale ohne Kern.
Ein PaNoRama der Nichtigkeit bereite ich über
mich aus. Zuerst überREICHte ich meinem schWARM Briefe,
doch sie wollte DiaManten. Dann schenkte ich ihr
DiaManten, doch sie sehnte sich nach Aufmerksamkeit.
Als Fälscher unter Fälschern kam ich nur bis zu
der jämmerlichen Erkenntnis: Bin ich
immer noch Buddhist oder schon TOTal reSIGNiert?
In LümmelSchritten geh‘ ich durch’s Leben,
so als sei ich der HERR DER RINGElsocken, mit einem
StrohHUT und einer StufenMauer. Natürlich hatte ich
noch nie einen Drogenrausch und schon gar nicht könnte
ich meine Frau erschiessen. Ich hatte alle POINTen
verstolpert und der ErFolg hatte mich auch nicht und
nichts verändert: Ich huldige den Lügen der TalEnte.
***
der gedichtband enthält texte, die zwischen 1992 und 2009 entstanden und von randexistenzen handeln, die sich vor allem in der kneipe »Biereck« treffen. der name harlem verweist auf einen ursprung der identität des autors, der 1951 in stuttgart geboren wurde, 1986 ein neunmonatiges stipendium im new yorker stadtteil harlem hatte und sich als außenseiter mit der dortigen afroamerikanischen kultur identifiziert. ich dachte beim lesen an den film »Schatten« von john cassavetes. in den texten erwähnt oder auf fotos abgebildet finden sich, wenn ich alle richtig erkannt habe, paul bowles, william gaddis, rolf dieter brinkmann, günter bruno fuchs, hermann peter piwitt, franz josef degenhardt, john huston, rainer werner fassbinder, miles davis, bob dylan und neil young. mitunter denkt man auch an frühe lieder von hannes wader.
fischles »Hinterhofgedichte« beschreiben verhältnisse, zustände, lebensbedingungen und lebensformen der »Würglichkeit« von randexistenzen und wecken so ein verständnis für die »Fülle des Abseitigen, Schäbigen und Unerhörten«. »Meine Helden leben in ärmlichen Zimmern und verbringen / die Nächte in BIERECKEN: Sie fristen das anTRIEBsschwache Leben von EigenBrötlern. Zwischen kindlich unbefangener / EuForie und rasiermesserscharfer SelbstAnalüse / erwarten sie baldiges Glück und spätes AnSehen.«, »Durch meine faustgroßen Löcher in den HosenTaschen / entWICH der Zwang zum Glück, der Hang zur PerFektion.«, »Melancholie, flüsterte meine / PommesLiebe, sei für uns Trauer ohne Thema.«, »Wer weggeht, träumt, sagte ich mir, und wer träumt kann / soviel lügen wie er möchte, denn ihm glaubt mann sofort.«
der leser findet dialoge wie: »Wir seien der globalisierte / Stammtisch, raunzte unser kommunistischer KNURRhund: Arbeitslose / aus aller Herren Länder. Na, denn PROUST, grinste VorStadtHeinz.« andere figuren des lokals, die in einer selbstironischen umgangssprache miteinander reden und die welt kommentieren, heißen »BierErnst«, »WürfelRudi« oder »FreizeitJürgen«. der autor selbst ist der »NegerDichter«. so formiert sich eine kultur der abgedrängten, die weder hochkultur noch kleinbürgerlich ist.
diese gedichte sind gewollt kunstlos im ton. bernd harlem fischle versucht gar nicht erst, sie kunstvoll zu machen, hat keine illusionen gegenüber seinen texten und vielmehr »Respekt vor grandioser Erfolglosigkeit.« wie er schreibt, sagt er selber: »in einer Mischung aus GossenSprache und zusammengelesenen Weisheiten.« an einer stelle konstatiert er: »Mein Schreiben berichtete immer wieder vom zwanghaften Festhalten / an der Oberfläche: ich war nicht glücklich, aber cool.«
allein schon das schriftbild einer alten schreibmaschine, wobei zudem noch einzelne wörter und zeilen sichtbar korrigiert und überklebt wurden, verweist auf das randständige von autor und gedichten. er erklärt, daß er kein perfektionist sein wolle, weil das unglück immer perfekt, das glück jedoch meist unperfekt sei. häufig werden wörter durch hervorhebungen von buchstaben verfremdet, so bei »lebensFülloSoffie«, »beWUNDert«, »erINNERN« oder »KuLissen«. das sind also durchaus kunstgriffe und manche formulierungen sogar sprichwörtlich zitierbar: »Realität ist die schöne Illusion, die durch AlkoholMangel entsteht.«