In Deutschland gibt es nicht viele Lyriker, deren Gedichte in über 20 Sprachen übersetzt werden. Hussein Habasch erhält diese weltweite Aufmerksamkeit. Am 23. September wird der aus dem syrischen Teil Kurdistans stammende Dichter 70 Jahre alt.
Für Habasch war es ein weiter Weg von dem kleinen kurdischen Dorf bis in die Bonner Vorstadt, wo er seit 1984 lebt. 18 Bücher hat er bislang veröffentlicht, der jüngste, zweisprachige Gedichtband „Afrin und das Lebewesen, das Mensch genannt wurde“ (Hogir Verlag) erschien Ende August. Eine Ausgabe für den amerikanischen Markt wird derzeit vorbereitet.
Immer wieder geht es in Habaschs Gedichten um das Leid der Kurden. In lakonischen, prägnanten Bildern schreibt er über vom Krieg zerrissene Familien, von Verfolgung und zerstörten Kindheiten.
Welche Klage erhebe ich
Gegen das Meer
Nein du bist nicht der Mörder
Töten ist ein Geschenk
Des Menschen an den Menschen
In diesen Gedichten über Vertreibung und Entwurzelung erzählt Habasch auch seine eigene Geschichte, berichtet aber immer wieder auch von fast surrealen Momenten der Hoffnung. Seine Verse verzichten auf Effekte oder Pointen, sind so karg und reduziert, wie das Land, aus dem er kommt. Und mit dieser großen sprachlichen Präzision verfehlen sie ihre Wirkung nicht.
Ein großes Thema bildet dabei die Stadt Afrin, aus deren Umgebung Habasch stammt und die im Frühjahr von türkischen Streitkräften erobert wurde; eine Schlacht, die mit viel Leid für die verbliebene Bevölkerung verbunden waren, was den Dichter fassungslos lässt:
Afrin
Meine Mutter
Für dich ist die Menschheit
In deinen tragischen Tagen
Ein trockener Baum in der Wüste des Denkens
Schon als Zwölfjähriger hatte sich Hussein Habaschs Talent gezeigte: „In der Schule habe ich viele Gedichte auf Arabisch auswendig lernen müssen. Aber darin habe ich nichts gefunden, was mich wirklich berührt hat. Also fing ich an, selbst Gedichte zu schreiben.“ Später studierte er Journalismus in Moskau und wurde nach der Promotion Literaturdozent in Algerien: „Dort habe ich gehört, dass in Bonn ein Zentrum für kurdische Sprache und Literatur aufgebaut wird, wo ich lehren konnte.“
1984 kam er als politischer Flüchtling nach Bonn: „Später habe ich erfahren, dass sich damals Heinrich Böll für mich eingesetzt hatte.“ Der Anfang in Deutschland war schwer, er arbeitete als Lehrer und Übersetzer, doch bald fiel er auch mit seinen Texten auf. Die Lyrikerin Hilde Domin sagte über seine Gedichte „Ich habe lange nichts so schönes gelesen“, für seine Heine-Übersetzungen ins Kurdische erhielt er einen Preis. Über die Jahre hat er so sein Publikum gefunden: „Meine Heimat ist die Poesie. In ihr gibt es keine Gewalt und Tyrannei. Dort fühle ich mich am wohlsten.“
Die zweisprachige Ausgabe den neuen Gedichtbandes erweist sich als besonderer Gewinn: Die Leser bekommen so einen seltenen Einblick in das Kurdische, eine der ältesten Sprachen der Welt, die heute noch von 40 Millionen Menschen gesprochen wird. Die Originalfassung der Gedichte wurden von Rainer Maria Gassen und Hussein Habasch selbst ins Deutsche übersetzt.
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Afrin und das Lebewesen, das Mensch genannt wurde / Efrîn û canberê bi mirov hatîye navandin Gedichte Kurdisch / Deutsch. Übersetzt von Rainer Maria Gassen und Hussein Habasch Hogir Verlag 2018
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