Hingabe an die Musikalität der Sprache

 

Der 1962 im ostgeorgischen Araschenda geborene Autor studierte Geologie an der Universität Tiflis, arbeitete in seinem Beruf solange, bis 1990 das Institut für Geowissenschaften geschlossen wurde. Seit dieser Zeit betätigte er sich als erfolgreicher Verfasser von Romanen und Bühnenwerken, sowie als Journalist und als Übersetzer aus dem Russischen. Diese nüchternen Fakten, die sein Übersetzer, Joachim Britze, im Nachwort zu dem vorliegenden Erzählband zusammengetragen hat, erweitert Mossulischwili durch eine Reihe von intimen Bekenntnissen über seine Kindheitserlebnisse und seine schriftstellerischen Vorlieben. Beide Erkenntnisstränge schlagen sich in seinen eigenwilligen Erzählweisen nieder. Es ist dies eine aus seiner Kindheit herrührende Manie, alle Frauen, denen er begegnete, aufzufordern, ihre Kopftücher abzunehmen, weil die Schönheit von Frauen nur ohne Kopftuch ersichtlich sei. Ein anderes Merkmal betrifft in seinem literarischen Schaffen die Hingabe an die Musikalität der Sprache, die er bei seinen Lieblingsautoren Hermann Hesse, Fjodor Dostojewski, Ryunosuke Akutagawa und Wascha Pschawela entdeckte und deren melodisch-rhythmische Klangmuster er auf die Werke von Bach, Mozart und Chopin zurückführte. Deren eigenwillige Klangmuster vergleicht er mit der „einschmeichelnden Beweglichkeit“ von Katzen, die nicht nur als Phänotypen den Hunden gegenüberstehen. Hermann Hesse zum Beispiel gleiche in seiner Schreibweise einer Katze, Thomas Mann hingegen ähnele in seinen stilistischen und rhythmischen Figurationen einem Hund. Und seit er in einem orientalischen Kalender entdeckt habe, dass er (weil er 1962 geboren wurde) ein Tiger sei, habe er eine intensive Vorliebe für Katzen-Komponisten. Und noch ein intimes Bekenntnis ist es, was Micho Mossuwischwili vor seinen Lesern ausbreitet: Was sei denn überhaupt sein eigener Stil, wenn er einerseits von seinem georgischen Vorbild Wascha Paschawela herkomme, andererseits von der japanischen Zen-Technik beeinflusst sei. Was für ein eigenständiger Stil könne sich bei solchen Voraussetzungen entwickeln? Seine Antwort ist verblüffend. Miniaturen seien es, „In denen bestimmte Erscheinungen ausgedrückt werden, so wie kurze Schlüsselszenen im großen Kino wahrgenommen werden sollen, das heißt Geschichten und Charaktere sollen in diesen Miniaturen mit den Methoden der filmischen Darstellung sichtbar gemacht werden.“

Eine solche Verknüpfung von dichterischen und filmischen Mitteln erfordert beim Lesen höchste Aufmerksamkeit. Also aufgepasst, liebe Leser/innen, wenn ihr mit den Schwänen im Schnee, den Frauen mit den Katzenaugen, den Fischen und Vögeln oder den Eseln des Herrn und den leuchtenden Engeln in den vorliegenden Miniaturen in Phantasiewelten abtaucht. Immer schön auf die rhythmischen Strukturen des Textes achten, auf den schleichenden Gang von Katzen oder auf die eher gradlinig-zackigen Bewegungen von Hunden. Es geht schließlich darum, so wie Micho Mossulischwili es in seinem Leitmotiv ankündigt: das Unsichtbare sehen! Und in der Titelerzählung „Schwäne im Schnee“ erläutert er es am Beispiel der Albatrosse, die er auf Fotografien erst nach langen Recherchen entdeckt, weil diese Vögel in riesigen Schwärmen, gut getarnt und gut vor der Kälte geschützt, auf der japanischen Insel Hokkaido unter dem Schnee überwintern. Von dieser sekundären Beobachtung gleitet er hinüber zu Shakespeare, den seine Zeitgenossen „The Swan of Avon“ genannt hätten. Und dann folgt der Geistessprung: „Vielleicht sind unsere vielgelesenen guten Schriftsteller wie Shakespeare, Rabelais, Goethe, Rustaweli oder Cervantes wie diese Schwäne in weißen Blättern versteckt und warten wie das Morgenlicht auf den Leser, um dann auf den gefahrvollen Wegen seines Bewusstseins loszufliegen und herumzutollen?“ Gibt es eine ähnliche Metapher, die uns in unbekannte Welten lockt, auf der Suche nach dem Unsichtbaren?

Die folgenden 53 Miniaturen zeichnen sich durch geschickt montierte Episoden aus, die über Freunde, Bekannte berichten, manchmal nach der Art von Reportagen aufgebaut sind, manchmal auf konkrete Ereignisse verweisen. Und weil es sich oft um bekannte Persönlichkeiten der georgischen Geschichte handelt, findet der Leser auch in Fußnoten bio-bibliografische Angaben. Auf diese Weise entsteht eine spannende Mischung aus fiktiven und authentischen Elementen, die im Erzählfluss oft in einer Anekdote endet. Und weil sich in einem verhältnismäßig kleinen Land das intellektuelle Leben hauptsächlich in der Hauptstadt Tiflis (russ. Tbilissi) konzentriert, häufen sich auch die Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in den Miniaturen von Mossulischwili. Was dazu führt, dass der Leser nicht nur mit den Merkmalen des öffentlichen Lebens in der georgischen Republik nach-der sowjetischen Ära vertraut gemacht wird, sondern auch noch die restlichen Phänomene des alten Regimes kennenlernt, wie in der grotesken Episode „Lebendig begraben“ (vgl. S. 104f). Der hundertjährige, im Ruhestand befindliche KGB-Oberst Giwi Wassilitsch, ist so schwer erkrankt, dass ihn zwei Verwandte in die Wohnung einer eben Verstorbenen im Nachbarhaus transportieren. Was auf diesem Weg passiert und warum der Oberst plötzlich aus seinem Dämmerzustand erwacht, ist ein köstliches Beispiel für den derb-subtilen Humor in der zeitgenössischen georgischen Literatur. Und von solchen mit spitzer Feder entstandenen Alltagsgeschichten wimmelt es in diesem witzigen Paperback-Band! Wer sich also einen Einblick in das turbulente Leben eines Landes am Fuße des Kaukasus verschaffen will, in dem das Überleben tagtäglich mit Humor und ätzendem Witz geübt wird, dem ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen!

 

 

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Schwäne im Schnee, von Micho Mossulischwili. Übersetzung aus dem Georgischen von Irma Schiolaschwili und Joachim Britze. Ludwigsburg (Pop Verlag) 2017.