Emmanuel Bove • Revisited

Im Übrigen scheint mir, dass man Romane nicht einen nach dem anderen schreiben sollte, als ob man ganz verschiedene Bücher macht, zwischen denen überhaupt keine Verbindung besteht. Ein Romancier muss das, was er zu sagen hat, in Form eines Romans sagen. Ein Roman sollte keine abgeschlossene Sache sein, kein in sich selbst ruhendes Etwas: das heißt, dass man einen Roman nicht vom Gesamtwerk eines Autors trennen darf, noch weniger als man einen schönen Vers von einem Gedicht loslösen kann. Er soll nicht den Eindruck einer in sich abgeschlossenen Arbeit machen, sondern Teil eines Ganzen sein.

Emmanuel Bove im Gespräch mit André Rousseaux, erschienen am 9. Februar 1928 in »Candide«.
Übersetzt von Thomas Laux, aus »Begegnung« (Lilienfeld Verlag 2012)

Um der Werkausgabe von Emmanuel Bove ermunternden Rückenwind zu verschaffen, haben sich die Herausgaber der Edition diá entschlossen, die noch geplanten elf Romane und Erzählungen auf einen Schlag auf die Reise zu den Leserinnen und Lesern zu schicken. Damit liegen alle je auf Deutsch erschienenen Werke des französischen Klassikers in gedruckter Form vor: neben den bei uns nun lieferbaren 16 Bänden weitere bei Lilienfeld und Suhrkamp, bei Deuticke und in der Friedenauer Presse (in Vorbereitung) – siehe unter.

Boves Werk umfasst etwa 30 Romane, dazu kommen zahlreiche Erzählungen und Kurzgeschichten. Dieser Autor wirft einen Blick hinter die Kulissen des französischen Bürgertums in der ersten hälfte des 20. Jahunderts und entlarvt die scheinheilige Moral einer Gesellschaft, die Regeln aufstellt, um sie heimlich zu brechen.

Menschen und Masken spielt beispielsweise im Ballsaal eines Pariser Hotels. Aus Anlass seiner Aufnahme in die Légion d’Honneur gibt der Schuhfabrikant André Poitou ein Bankett. Dazu hat er Honoratioren, Witwen und sonstige ihm bekannte Leute eingeladen. Alle treten wohlgekleidet auf, die Damen hochtoupiert, es handelt sich um die „gute Gesellschaft“. Doch hinter dem Pomp verbergen sich brutale Egoisten, die ihre Garderobe und die guten Sitten dazu nutzen, eigensüchtige Interessen zu verstecken. Ob es nun die Generalswitwe ist, die mit ihrer kreissägenartigen Stimme Aufmerksamkeit erzwingt, oder ein Senator, dessen Abgebrühtheit, hinter Schmeicheleien verborgen, kaum noch zu überbieten ist: ihnen allen geht es nur um die Macht, darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihre Position durch die „richtigen“ Kontakte zu verbessern. Menschen und Masken erschien 1928. „Ich habe über meinen nächsten Roman nachgedacht“, zitiert das Nachwort den Autor, „seltsam: Ich kenne bereits alles, nur das Thema nicht“. Das Buch ist also mehr aus einem Gefühl als aus einem Plan heraus entstanden. Zeigt sich hier das Lebensgefühl eines französischen Juden, der ahnte, wie wenig Verlass auf die „gute Gesellschaft“ sein würde?

Nach seinem Tod blieb Emmanuel Bove lange vergessen. 1972 schrieb Valéry Giscard d’Estaing in einem Brief an Philippe Soupault, die Bücher von Emmanuel Bove seien „vollkommen verschwunden“ und nicht einmal mehr in den „hinteren Raumen der Buchhandlung“ zu finden. Erst Ende der 1970er Jahre begann in Frankreich eine Wiederentdeckung. Durch Luc Bondy wurde Peter Handke auf Bove aufmerksam. Handkes drei Übersetzungen (in den Jahren 1981 bis 1984) machten Bove auch in Deutschland einer breiteren Leserschaft bekannt.

In seinem Todesjahr (1945) erschien Le piège in Frankreich (deutscher Titel: Die Falle), ein Buch über die Kollaboration in Frankreich. Distanziert schreibt Bove über den Weg des „Widerständlers im Geiste“ Bridet durch die kalten Flure der Vichy-Administration. Diese Buch ist auch deshalb erstaunlich, weil die Kollaboration mit den deutschen Besatzern in Frankreich bis in die 1990er Jahre ein Reizthema war, über das ein breiter öffentlicher, kritischer Diskurs erst mit Jacques Chiracs Rede am 16. Juli 1995 einsetzte. Bove brach die großen Themen von Widerstand und Kollaboration auf alltägliche Situationen herunter, in denen sich sein Antiheld Bridet zwischen Feigheit und Würde, strategischer Anpassung und wirksamem Widerstand selbst langsam eine Schlinge um den Hals zieht.

 

 

Weiterführend →

Der Lilienfeld Verlag hat gerade eine Neuausgabe des vergriffenen Romans Schuld veröffentlicht, erweitert um neun neu aufgefundene Erzählungen aus den Jahren 1935 bis 1944, die ebenfalls Thomas Laux übertragen hat. Die Herausgeber danken den Kollegen aus Düsseldorf, daß die Edition diá die E-Book-Ausgabe von Schuld und Gewissenbiss veröffentlichen darf!