Eine kleine sibyllinische Anekdote.
Man ist wirklich bass erstaunt, was der Humor nicht alles zu leisten imstande ist. Platzt er, zum Beispiel, aus heiterem Himmel in eine gesellige Runde, besitzt er eine ungeahnte therapeutische Kraft. Da biegen wir uns vor Lachen, schlagen uns krachend auf die Schenkel und schießen uns die Tränen in die Augen. Das wirkt so nachhaltig auf die Physis, dass der Humor fast schon als Durchblutungswirkstoff für die tägliche Medikation durchgeht.
Aber Humor kann sogar noch deutlich mehr. Er kann subversiv sein. Uns Kraft geben. Hoffnung vermitteln. Auswege aufzeigen. Gefahren bannen. Schwächen offenbaren. Verzweiflung überwinden helfen. Gemeinsamkeiten schaffen. Entkrampfen. Entspannen. Ablenken. Befreien. Und nicht zuletzt: befruchten.
Schließlich weckt er in uns spontane Assoziationen. Eingebungen. Logisch kaum erklärbare Einsichten in verblüffende, völlig unerwartete Zusammenhänge. Nehmen wir, nur mal so als Beispiel, den englischen Humor. Dass der etwas ganz Besonderes, Einzigartiges ist, weiß jedes Kind. Was aber nicht unbedingt jeder weiß, ist, dass er nicht nur einzigartig, sondern auch der erste seiner Art ist. Denn besagte Engländer waren es, die im 17./18. Jahrhundert als erste auf die Idee gekommen sind, unter ‚Humor’ genau das zu verstehen, was wir heute darunter verstehen.
Der englische humour: Das ist seitdem das, was der Duden als „die Begabung eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen“ definiert. In den Jahrhunderten zuvor hätte man dieses Verständnis vielleicht mit Humor genommen, aber wohl kaum so genannt. Denn als der gute alte Galen, ein griechischer Arzt im 2. Jahrhundert n. Chr., seine Lehre von den vier elementaren Körpersäften entwickelte, die das cholerische, melancholische, phlegmatische und sanguinische Temperament hervorbringen, nannte er jene Säfte ganz humorlos humores: ‚Feuchtigkeiten’.
Am Anfang war der humor also gar nicht witzig. Sondern eher feucht. Und mit ihm seine gesamte lateinische Wortfamilie: umere, feucht sein. Oder auch umidus, feucht, nass.
Unversehens sind wir hier jedoch bei eben jenen Anklängen angelangt, die in den etymologischen Tiefen der Wörter über Jahrtausende hinweg heimlich, still und leise schlummern. Von uns unbemerkt. Unerkannt. Vergessen. Aber immer da. Stetig lauernd. Im Untergrund gärend. Bereit zum Ausbruch aus dem Subtext, um eruptiv die Konnotation auszuspeien:
ugh-
Was hier gleichsam als Urlaut aus der Sprache in der Bedeutung ‚feucht’, ‚befeuchten’, ‚(be-)spritzen’ emporsteigt, ist tatsächlich die indogermanische Wurzel des Humors. Mehr noch: Sie ist auch, man mag es kaum glauben, die des Ochsen. Eben jenes Ochsen, mhd. ohse, der zwar das entmannte, mithin also unfruchtbare Rindviech bezeichnet, dessen Name aber sprachlich von einer äußerst fruchtbaren Vergangenheit zeugt: Der Ochse ist nämlich, man hört’s gleich, verwandt mit altindisch uksa, was gewissermaßen sein Gegenteil bedeutet – Stier.
In jenem uksa steckt zudem uksati. Was genauso soviel heißt wie ugh-. Sprich: ‚feucht’, ‚befeuchten’, ‚(be-)spritzen’. Und der Stier, Ex-Ochse, vormaliger uksa, hat nun mal in der Geschichte der Zivilisation die Funktion, die uksati nahelegt: Er ist der Befeuchter. Bespritzer. Befruchter.
Hier nun nähern wir uns langsam, aber stetig dem Humor, seiner ursprünglichen Bedeutung sowie der heutigen Funktion als inspirierende, geistig befruchtende Gattung an. Und damit schließt sich der Kreis. Was man übrigens auch mit etwas Humor nehmen sollte.
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Essays von Stefan Oehm, KUNO 2018
Die Essays von Stefan Oehm auf KUNO kann man als eine Reihe von Versuchsanordnungen betrachten, sie sind undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Er betrachtet diese Art des Textens als Medium und Movens der Reflektion in einer Zeit, die einem bekannten Diktum zufolge ohne verbindliche Meta-Erzählungen auskommt. Der Essay ist ein Forum des Denkens nach der großen Theorie und schon gar nach den großen Ideologien und Antagonismen, die das letzte Jahrhundert beherrscht haben. Auf die offene Form, die der Essayist bespielen muss, damit dieser immer wieder neu entstehende „integrale Prozesscharakter von Denken und Schreiben“ auf der „Bühne der Schrift“ in Gang gesetzt werden kann, verweist der Literaturwissenschaftler Christian Schärf. Im Essay geht die abstrakte Reflexion mit der einnehmenden Anekdote einher, er spricht von Gefühlen ebenso wie von Fakten, er ist erhellend und zugleich erhebend. Daher verleihen wir Stefan Oehm den KUNO-Essaypreis 2018.