Literarische Daguerrotypie einer Dekade

So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefasst, noch weniger zu finden.

Hölderlin

In seinem zweiten Roman führt A.J. Weigoni fort, was er in Abgeschlossenes Sammengebiet begonnen hat. Er geht von der Globalisierung und Vereinheitlichung der Welt aus, verwirft jedoch die These von der Uniformisierung. Parallel zur Globalisierung entwickelt der Romancier in den Lokalhelden eine Poesie der kulturellen Polyphonie. Dieser Roman ist quasi gesampelt, zusammengesetzt aus kurzen, oft elliptischen Cut-ups, die in Loopingschlaufen den gesamten Text durchziehen. Der multikulturellen Gesellschaft im Rheinland steht die Verstädterung der ´Dritten Welt` gegenüber. Das Rheinland wird in dieser Prosa zum Sinnbild einer Entsolidarisierung, die sich in allen Gesellschaften nachweisen lässt. Seine scharfe Beobachtungsgabe entlarvt die rheinische Frohnatur.

Es soll nicht der Versuch gemacht werden, die Handlung des Romans zusammenzufassen, das Ergebnis wäre ähnlich nichts sagend wie die gängigen Inhaltsangaben zu Romanen von Arno Schmidt oder Alain Robbe-Grillet. Weigoni entwirft in Lokalhelden ein Panorama der rheinischen Bohème. Nur das Hier und Jetzt zählt und damit die Fähigkeit, das Momentum auf seine Seite zu zwingen. Reaktionsschnell und instinktgetrieben wissen die Rheinländer kleinste Schwächen zu nutzen, um sich gegenseitig übers Ohr zu hauen. Undiszipliniertes Denken und Entdeckerlust machen im Rheinland vor Sprach- und Kulturgrenzen keinen Halt. Gespannte Aufmerksamkeit, Improvisation, Anpassungsfähigkeit und eine Psychologie, die darauf abzielt, sich nichts gefallen zu lassen, gehört zu ihrem Tugendkatalog der Rheinländer. Weigoni steht in einer Tradition, die bis zur Literatur der Aufklärung zurückreicht, zu Montesquieus „Persischen Briefen“; der Autor betrachtet dabei die eigene Welt mit fremden Augen. Daran hat die Wissenschaft vom Fremden und Fernen, als die sich Ethnologie und Anthropologie meist verstehen, schließlich geglaubt: Wer einmal in der Ferne lebt und arbeitet, der erzieht seinen Blick – und kann nach der Rückkehr die eigene Gesellschaft luzide betrachten.

Mit dem Bruch literarischer Konventionen überwindet Weigoni die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion und bildet eine eigene Hybridform heraus. Lokalhelden ist gleichsam Literatur als auch soziale Skulptur.

Niemand hat das Milieu der saturierten und selbstgerechten Erbengeneration im Rheinland genauer beschrieben. Weigoni ein lebenslanger Spuren-, Sinn-, Geschichtensammler, der auf seinen Streifzügen durch die unterschiedlichsten Wissensgebiete die wie tektonische Platten beim Schreiben ineinander schiebt. Literaturtheoretisch besehen erinnert dies an bricolage, bei der Altes neu kombiniert wird, hier ist dieser Romancier nahe bei Walter Benjamin, der aus Kritzeleien auf Metrokarten, aus biografischen Fundstücken und zeitgeschichtlichem Abfall eine säkulare Kathedrale der Moderne errichtete. Es gelingen Perspektivverschiebungen, Denken, Dichten, Formen und Schaffen scheinen bei den Lokalhelden den Gesetzen des Zufalls zu folgen und sie können im Rheinland trotzdem geometrisch-konstruktiv sein, sie fallen wie Früchte vom Baum und sind dennoch fern jeder Imitation. Wir lesen eine Sprache, die in ihrer Satzstruktur eine Beweglichkeit gewinnt, welche die Spielräume der Wörter miteinander in Resonanz bringt. Der Themenkreis von Weigonis so mühelos wachsenden, blühenden und zugleich doch gebändigten und gebauten Formenwelt ist zwar schon frühzeitig festgelegt, doch die Möglichkeiten an Metamorphosen scheinen unendlich zu sein, und es fehlt auch bis ins letzte Kapitel nicht an völlig neu anmutenden Figurationen. Faszinierend ist der lange Atem des Lyrikers Weigoni, der dieses hohe Niveau der sprachlichen und narrativen Verunsicherung über die Gesamtlänge des Romans hinweg weitgehend durchhält. Der Leser muss viel Konzentration und Hingabe bei der Lektüre aufwenden. Etwas, was heutzutage fast schon als exotisch angesehen wird. Aber es lohnt sich.

 

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Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.

Coverphoto: Jo Lurk

Weiterführend →

Lesenswert das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Walther Stonet lotet Altbierperspektiven aus. Conny Nordhoff erkundet die Kartografie. Zuletzt, ein  Rezensionsessay von Denis Ullrich.