ATINA

 

I

Ich tauchte spiegelnd aus beiernden* fluten

verkrallt in das land die lungen voll gift

Den himmel über mir sah ich verbluten

der wind schlich davon mit gefälschter drift

Ich dachte an einen der mit mir getrieben

da legt er die schlingen des ankerspills*

schnitt aus meiner haut seine grieben

und opferte mir eine ziegenmilz

 

Und ich kam zu spät als das feuer ihn schlug

und er seine beute ins wadi trug

die lotosfrüchte verschwendet

Ich saß in glut und verbrannte nicht

Atina starrte mit kaltem gesicht

vom Schah als letzte geblendet

 

II

Er war der siebte der sikelioten*

mit denen ich spielte um auge und geld

Er sagte: für vierzig kamele boten

die seinen mir schutz im geheimen zelt

Ich füllte den korpus der leier mit liedern

von dem was vor ihrer zeit gelebt

ich lehrte sie im kehrreim erwidern

was von ihrem blut an der leier klebt

 

Er nahm aus der schale und bot shalom

Sie zierte sich noch und er sagte: komm

und keiner wagte zu passen

Die aufseher trieben sie morgens auf

Sie gingen und folgten dem sonnenlauf

da hat sie die sonne verlassen

 

III

So gingen sie durch ihre dunkelheiten

und hatten nur katzen und kinder zum mahl

Sie hatten nichts als um iotas zu streiten

und nichts als zirren* für ihre qual

Vergaßen gott und vergaßen die ahnen

und opferten toter pferde gas

Die jahre starben es starben die wanen*

Sie tranken den tran von delphinenaas

 

Ich folgte dem ausgeplünderten zug

der in seiner mitte die lade trug

und konnte das licht nicht erreichen

Ein volk auf wanderschaft sternüberdacht

voll hoffnung im schwarzen schimmer der nacht

suchen sie ihresgleichen

 

IV

Blasse kinder staubiger frühe

blick vom getünchten Tartessos rot

noch führt sie nichts als geröll und die mühe

zu wandern unter dem schweigenden lot

Doch an den weichen plötzlicher gletscher

in denen das blut zu eisen gefror

schrämten* sie wie gelernte dispatcher

so daß sich das werk in wäldern verlor

 

Ich hörte vom süßen markt in Taiwan

vom opiumschiff auf dem strand von Tainan

und arbeit im landesinnern

und klagte der erde die mich gebar

weder des tods noch des lebens gewahr

und kiebitzte bei den gewinnern

 

V

Einzig Atina trug ihre klage

und ihre hoffnung und ihren mut

in dieser wüste durch vierzig tage

über die steinerne körnige flut

Die alte orgel des windhimmels lade

zuversicht über der stahlszenerie

die serenade verrosteter krade*

als sie am wachturm um wasser schrie

 

Sie fand nur vergiftete brunnen und trank

das bittere wasser und wurde nicht krank

und suchte sein ohr auf den molen

Der Indienfahrer pachtet Migjorn

Sie haben zur hälfte vermahlen sein korn

und die andere hälfte gestohlen

 

VI

Tiefer in wälder flohn amazonen

von katzen gelockt die den tod verführt

In den arenen wo römer wohnen

sind völker in blendgas zum kämpfen gekürt

Ich schlug mich übern paß nach westen

und merkte daß ich das zeitenrad

noch auf dem rücken trug   am besten

ich hörte auf nichts und aß meinen pfad

 

Ich wanderte aus den wäldern aus reif

ins fenn   die schwingen des launischen Greif

trugen mich über die brüche

Und ich lief im kreis mit dem flüchtingstreck

und über mir grinste der himmel wie speck

und hunger dampfte die küche

 

VII

Sie stand auf dem markt als falsche prophetin

und täuschte mit trügendem kartenstrauß

Der zwerg riß am schleier der anachoretin

und fuhr sie aus tobender stadt heraus

Da grub sie sich durch die katakomben

lunten in fluren von absprachen leer

Er aber zeichnet besoffene rhomben

und fängt sie vergeblich und schützt sie nicht mehr

 

Aus marmor und glas ein freiheitsmodell

weisungsempfänger beim abtöten schnell

und alle pläne gescheitert

Die risse jenes gelobten lands

grau verwischt an der hauswand stand’s:

Erst ratten taten die freitat

 

VIII

Wir hatten zu früh von der kälte im herzen

wir pflügten das land zu wüste und blut

wir zahlten den kopflohn in bittren sesterzen

und machten versteinert das himmelblau gut

Ich blieb ihnen hinter sündenbock sünder

gekelcht und den morgenstern überquert

Sie suchten in mir den zeitverkünder

und fanden einen der hinkjamben lehrt

 

Vierzig jahre morganaverwöhnt

vierzig karten herzbubeverhöhnt

in lilie mit könig und assen

die ohren kalt vom schreien des gongs

ins totenland singt einer zynische songs

und taumelt allein auf den gassen

 

IX

Er schnitt sich die zunge sie aufzuessen

als erster wach im bleiweiß der zeit

und schwieg als erster und hatte vergessen

er hatte keine der bräute gefreit

Das kind blickt über die steppe im westen

da liegt überm rauch ein zitternder schein

Sie schichteten trümmer zu reckenden resten

knochen der toten in nichtsbrand zu spein

 

Strandgut der nacht ohne poren verdorrt

und vorm atelier ein weiterer mord

und sandfahnen über den ergen*

Djungel versteint unter wüsten von eis

und ein stinkender zwerg ein kind ein greis

und frauen in weißglatten särgen

 

 

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Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2018

HEL ist bekannt geworden als Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. Diese Gedichte legen eine Stimmung frei, die zwischen Melancholie und Unbeschwertheit, Wehmut und Klarheit wechselt.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Ein faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

 

Redaktionelle Anmerkungen:

beiern = „glocke mit klöppel anschlagen nich läuten“

ankerspill = „winde zum ankerlassen und -lichten“

sikelioten = „griech. sizilier“

zirren = „zirrus-, schäfchen- und federwolken“

wanen = „nord. Göttergeschlecht“

schrämen = „fällbäume kennzeichnen“

krade = „mehrzahl von k(raft)rad“

erg = arab. Sandwüste