Die Beatles der elekronischen Tanzmusik
New York Times
Obzwar die Kraftwerker ihr Frühwerk aus dem „Katalog“ entfernt haben, sind die Aufnahmen dennoch online zu recherchieren und werden weiterhin unter einem italienischen Fake-Label als Schwarzpressung vertrieben. Ihr wahrscheinlich prägnantester Titel aus der Frühphase, Ruckzuck wurde als Titelmusik für die Sendung Kennzeichen D bundesweit bekannt. Ein weiteres Zeitzeichen finden wir auf Youtube. Am 15. November 1970 haben die Kraftwerker ein Konzert in Soest gespielt, am Schlagzeug saß noch Klaus Dinger.
1973 entschlossen sich Ralf Hütter und Florian Schneider den Kraftwerk-Sound ausschließlich elektronisch zu gestalten und melodische Pop-Elemente zu integrieren.
Man will das Wort Konzeptalbum seit der Erkundung der dunklen Seite des Mondes eigentlich nicht mehr benutzen. Das künstlerische überzeugendste Album haben die Musikarbeiter bereits in 1978 eingespielt. Die Anspielungsdichte ich hoch, die Beziehungen zu Kasimir Malewitsch und El Lissitzky sind so offensichtlich, wie die Beziehung der Kling-Klang-Musiker zur Kunstakademie in Düsseldorf. Hier ist das umgesetzt, was Helmut Lethen als Verhaltenslehren der Kälte bezeichnete. Ihr letztes relevantes Album war Electric Café, 1986 (bei der Wieder-VÖ als Techno Pop hinterhermotiviert). Im Rahmen ihrer Selbstkanonisierung führten sie die elektronischen Alben in der Kunstsammlung als historisch-kritische Werkausgabe auf. „12345678“ lautete diese Show, die vom MOMA übernommen und an die Tate Modern weitergereicht wurde. Mit der werkgetreuen Aufführung ist die Musealisierung der Popmusik abgeschlossen.
Am Heimcomputer sitz’ ich hier und programmier’ die Zukunft mir.
Hinter einer 3D-Brille durfte sich das Publikum retrofuturistisch vergegenwärtigen, wie die Kraftwerker eine Zukunft erfunden haben, die niemals eingetreten ist. Und nun hält das das verbliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter mit eisener Faust an ihr fest. Dabei übergeht er geflissentlich die ersten drei Alben Kraftwerk 1 + 2 sowie Ralf + Florian. Diese Frührwerke werden nicht mehr aufgeführt und dürfen auch nicht mehr als CD oder Schallplatte offiziell wiederveröffentlicht werden. Der Redaktion erscheint der wenig souveräne Umgang mit eigenen Vergangenheit als kaum schlüssig – zumal diese Alben noch recherchierbar sind – weil das museale Konzept einer Werk-Retrospektive das eigene Werk in seiner Historizität doch erheblich ernster nehmen sollte.
Heute erscheint es ja so, als würde Kraftwerk nichts mehr mit der Schöpfung der Musik zu tun haben wollen. Aber die Schöpfung der Musik fand ja in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre statt. Und die Autoren heißen eben Hütter, Schneider, Bartos, Schult.
In seiner Biografie rückt Karl Bartos seine Rolle bei dem kreativen Prozess ins rechte Licht. Er entlarvt Hütter und Schneider als Kinder, die aus einem großbürgerlichen Haushalt stammen und daher ihre „Mitarbeiter“ lediglich als Lakaien anerkennen. Evident ist, daß nach dem Aussteig von Barthos und Flür nichts weiteres an Substanz entanden ist. Tour de france ist ein lahmer Nachklapp auf den Locomotive Blues der schwarzen Musikgeschichte, aber Düsseldorf lag eben nicht am Mississippi, sondern mitten in der Wirtschaftswunderzeit der Bonner Republik und war in den 1970er Jahren sogar ihre heimliche Hauptstadt. Und unter dem Kopfsteinpflaster der Ratinger Straße lag glücklicherwiese kein Strand!
Auf der Platte „Die Mensch-Maschine“ von 1978 taucht übrigens noch der Name von Karl Bartos und seinem Kollegen Wolfgang Flür auf. Im Katalog der Wiederveröffentlichung der sogenanntem „Werkausgabe“ wurden diese Namen getilgt.
Eine umfassende Bestandsaufnahme nach mehr als 40 Jahren Mensch-Maschinen-Musik versucht ein Band mit Artikeln und Essays, mit befragbaren Ergebnissen. Man sollte zum Verständnis der Musik in der Zeit der Helmut Schmidt-Ära dazu Der Klang der Maschine von Karl Bartos, mit seinem Einstieg im Jahr 1975 entwickelte das Düsseldorfer Quartett jene unverkennbare Soundarchitektur, die die Band weltweit so einflussreich machte. Kraftwerk waren Wegbereiter für Techno, House und auch Elektropop. Mit großem Respekt, aber auch mit analytischer Klarheit gibt der ehemaliger Kraftwerker in seiner Autobiografie spannende Einblicke in das Innenleben einer Band, die sich bis heute alle Mühe gibt, geheimnisvoll und undurchschaubar zu sein.
Das ist ein grundsätzlicher Irrtum. Wir waren nie Angestellte der Gruppe Kraftwerk. Ich war immer ein freier Musikunternehmer und mein Kunde war Kraftwerk. Wir haben dann eine Rechnung gestellt. Oder ich wurde dann natürlich als Autor und als Mitglied der Band an der Lizenz beteiligt. Wir waren nie angestellt.
Karl Bartos
Der Klang der Maschine ist jedoch nicht das einzige Buch, das man über Kraftwerk lesen sollte, empfehlenswert ist auch: Kraftwerk – Die unautorisierte Biographie des Historikers David Buckley lesen. Da Buckley zugleich Journalist ist, hat er recherchiert und an die 150 Interviews geführt, außer mit Ralf Hütter und Florian Schneider. Der englische Historiker ordnet das Gesamtkunstwerk Kraftwerk sozial- und kulturhistorisch ein: die Last der Kriegsgräuel, die Liebe zur Kunst, die Lust am Entdecken haben die „Idee Kraftwerk“ zum Leben erweckt und unsterblich gemacht:
Kraftwerk könnte vielleicht weniger eine Band als vielmehr eine Idee sein. In 20, 30 Jahren könnte Kraftwerk mit komplett anderen Musikern weitermachen. Sie könnten die erste echte virtuelle Band sein. So könnten es sie weitere 200 Jahre in anderer Besetzung geben.
Oder vielleicht sollte man besser gleich ´Retrotopia` von Zygmunt Bauman greifen: „Visionen, die sich anders als ihre Vorläufer nicht mehr aus einer noch ausstehenden und deshalb inexistenten Zukunft speisen, sondern aus der verlorenen/geraubten/verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit.“
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Kraftwerk – Die unautorisierte Biographie von David Buckley, Metrolit, Berlin 2014
Der Klang der Maschine von Karl Bartos, Eichborn Verlag 2017
Mensch-Maschinen-Musik, Das Gesamtkunstwerk Kraftwerk, von Uwe Schütte (Hrsg.) C.W. Leske Verlag, Düsseldorf, 2018
Weiterführend → Der Begriff `Krautrock´ geht auf das Wort „Sauerkraut“ sowie die Bezeichnung „Krauts“ für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zurück. Der Ursprung des Wortes Krautrock geht auf eine Werbeanzeige der deutschen Firma Popo Music Management zurück, die in der US-amerikanischen Zeitschrift Billboard das Wort 1971 erstmals benutzte, um für Platten von Bacillus Records zu werben. Dieser Begriff wurde von der britischen Presse aufgegriffen und häufig benutzt. Peinlich wird Krautrock immer dann, wenn Deutsch Bands versuchen englische Texte zu verzapfen. Daher ein Hinweis auf die Deutschen Texte von Ton, Steine, Scherben. Sowie auf Ran! Ran! Ran! – THE BEST OF FAMILY*5 / VOL. I, zusammengestellt von Xao Seffcheque. Inzwischen ist das alte Thema Compact Cassette wieder aufploppt. Laut eines Berichts im Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“, wir spulen zurück in die Zukunft des Cassettenlabels. Danach ertastet KUNO den Puls des Motorik-Beats. Und machen eine Liebeserklärung an die „7-Inch Vinyl Record Single“. Krautrock ohne angloamerikanisches Vorbild – lässt es auch die Kraaniche fliegen? Auf Embryo’s Reise entdeckten die Musiker zwar nicht Amerika, sondern die Weltmusik. Ist das noch Krautrock? – Eher Labskaus vom feinsten! Last but least: Krautrock @ its best!
Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe