Bezeichnenderweise war das erste Wort, an das ich denken musste, als Haimo Hieronymus mir von seinem Vorhaben erzählte, „Enzyklopädie“ und tatsächlich findet sich der Zyklop darin, ein gefangener Bestandteil; dabei wissen wir doch, Zyklopen lassen sich nicht fassen, vielleicht blenden, aber nicht einsperren. Warum also diese Verbindung mit dem einäugigen Riesen der altgriechischen Mythologie? Die Kamera ist einäugig, sie sammelt gewisse Erinnerungsmuster aus Licht wie Schätze und hortet auf ihrem Speicher oftmals tausende von Dokumenten, die teilweise niemals wieder betrachtet werden. Digitaler Müll. So lange, bis sich jemand daran macht zu sichten, zu sondieren und zu verwerfen. Dazu braucht es auch heute einer Irrfahrt, die genügend Muße lässt, das Ungewöhnliche in der Masse der Möglichkeiten zu entdecken.
Hieronymus hat sich entschieden, seinen Zyklopen in drei Teilen erscheinen zu lassen. Das erste Buch beschäftigt sich mit den belebten Dingen, die der Künstler auf seinen „Spaziergängen“ (alles unter drei Stunden) und Aquariumsbesuchen, im eigenen Garten entdeckt, die er festhält, vielleicht eine Erinnerung, vielleicht auch Material für weitere Arbeiten. Fotografie und Zeichnung, Malerei, Text bedingen sich bei ihm. Das intensive Betrachten, das Ausschnitte Finden, das Selektieren sieht er als wichtige Aufgaben. Die entstandenen Fotos, ein kleiner Teil aus seinem Archiv, zeigen seine Faszination für Strukturen, für Formzusammenhänge, für Rhythmus und Wiederholung, für die fraktale Geometrie, mit welcher er sich schon seit den achtziger Jahren beschäftigt. Sie zeigen aber auch seinen Sinn für Schönheit und Komposition, mal ganz klassisch, harmonisch, beizeiten aber auch etwas abseitig. Dann nämlich, wenn die scheinbar wichtigsten Momente aus dem Mittelpunkt an den Rand verdrängt werden und der Betrachter erkennen muss, dass das Erwartbare vielleicht gar nicht so sehr von Interesse ist, sondern diese unbeschreibbare Leere einen Sog erzeugen kann. Die Zusammenstellung ist im besten Sinne fragwürdig, befragbar und fraglos dem Subjektiven untergeordnet. Gruppen werden aufgelöst, Serien unterbrochen und neue Zusammengehörigkeiten (wenn es die denn gibt) erstellt. Dieses Kompendium aus titellosen Fotos und einzelnen Worten lässt Offenheit für die reine Betrachtung und braucht Zeit.
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Zyklop I, Photobuch von Haimo Hieronymus, Edition Das Labor. Erscheint im September 2018.
Anfragen zu Zyklop I und den bibliophilen Kostbarkeiten über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421
Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.