Der Kunstverein Linz produziert in jedem Jahr Jahresgaben. Das sind Editionen von Künstlerinnen und Künstlern, die dem Verein verbunden sind und meist auch in ihnen ausgestellt haben. So können Mitglieder qualitativ hervorragende Kunst zu günstigen Preisen erwerben und werden, so der Grundgedanke, für ihr Engagement belohnt.
Unterstützt durch die Kulturstiftung – wurde gestern das Projekt 630 im Rathaus Linz vorgestellt. So schloß sich ein Kreis.
Peter Meilchen und Klaus Krumscheid lernten sich 01.04. 1964 im Rahmen ihrer Ausbildung bei der Stadtverwaltung der Gemeinde Linz am Rhein, kennen. Ihre Freundschaft war geprägt von Sympathie, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung. Dies drückt sich auch in ihrer gemeinsamen künstlerischen Arbeit aus.
Bereits zu Anfang der 1970er Jahre – also noch in der Steinzeit der sogenannten Neuen Medien (siehe auch) – veranstalteten Krumscheid / Meilchen in der Linzer Stadthalle das Projekt Bild, Ton, Schrift, um dabei verschiedene Kunstformen (Bildende Kunst, Musik, Literatur) vorzustellen. Die beiden Künstler haben sich das Spielen, die Reflexion über das Spielen zur Grundlage ihrer Kunst gemacht. Kunst als letztmögliche Form des Spiels. Sie verbinden, vergleichen, stellen infrage und finden letztlich für jedes Bild eine eigene Spielregel. Seit dieser Zeit ging es ihnen um die Intensität der Wahrnehmung. Meilchens Kunst war seit jeher die literarische Negativ– und Doppelbelichtung. Gestochen scharf wirken seine imaginären Erinnerungsbilder aus Linz am Rhein, doch pulst in ihnen auch der Schrecken. Seine skeptisch-ironische Weltsicht einerseits, sein poetisches Engagement anderseits bringen viele Werke hervor, die verschiedene Positionen beziehen.
1974 begannen Meilchen und Krumscheid gemeinsam die künstlerische Ausbildung. Eine treffliche Passage dazu findet sich in Meilchens nachgelassenem Roman Schimpfen:
Ich muß einfügen, daß jeder diese Prüfung bestand, hatte er seine Anwesenheitspflicht, die freiwillig war, mit dies bestätigenden Testaten erfüllt. Kunsthochschulen müssen kein Sieb für den Markt sein – der sortiert sich ganz von allein. Und mancher ‘bestandene’ Künstler erlebt so manche Überraschung, will er auf dem Markt ein ‘gestandener’ Künstler werden. So fallen viele aus dem Wolkennest der Schule auf den harten Boden der Kunstvermarktung.
Fließend ist ost der Übergang von der Künstlergruppe zur Kunstverein. Entscheidend ist hierbei der persönliche Entschluss der Einzelnen, auch ihren Wohnort auf den gleichgesinnter Künstler auszurichten, was einer optimalen Weiterentwicklung der jeweiligen Kunstströmung förderlich sein kann.
1984, am 2. April, feierten Krumscheid / Meilchen ihre zwanzigjährige Künstler-Freundschaft mit einer gemeinsamen Ausstellung mit einer Wohn-Zimmer-Ausstellung in Leubsdorf. An dieser Ausstellung beteiligt waren auch Künstler aus der Werkstattgalerie Der Bogen: Karl-Heinz Hosse, Martini und Jürgen Diehl.
Im Gegensatz zu den meist programmatisch ausgerichteten Künstlergruppen werden in der Regel in Ateliergemeinschaften lediglich die Kosten für die Nutzung gemeinsamer Arbeitsräume bzw. Künstlerhäuser geteilt. Bedingt durch langjährige Freundschaften, thematische Gemeinschaftsausstellungen und der zwangsläufigen Auseinandersetzung mit den Arbeiten der anderen Mitglieder können sich jedoch Mischformen bilden, die über die reine Zweckgemeinschaft hinausgehen.
In der Verbindung zwischen Westfalen und Rheinland Pfalz zeigt sich: Der magische Prozess zwischen Idee und Realisation bleibt in der Black Box von Krumscheids Gehirn. Bei jeder Zufuhr an Klarheit offen zu bleiben für eine dazugehörige Gewißheit, daß mit wachsender Erkenntnis doch immer auch die Furcht und das neuerliche, uralte Unbegreifen wächst. Malen bedeutet ihm, den Faden seiner Ideen zu bestücken. Er ist ein Spezialist im Verstecken von Botschaften. Seine Arbeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Wenn man mit ihm über sein Tun spricht, ist es einfach, ihm zu folgen. Er spricht von Sehgewohnheiten, Erinnerungen und Erwartungen, die sich alle überlagern und verformen; so zieht ein Bild das andere nach sich.
Es gibt Kunst und es gibt Galerei-Kunst
Ed Keinholz
Zwischendrin gab es in den 80er Jahren zwei Veranstaltungen im Linzer Café Pepper in den unter dem Titel Linz und Kunz: Ausstellungen, Aktionen, Videos. Eine Eigenschaft ihrer Arbeit besteht darin, dass man sich über das, was im Zentrum steht, nie sicher sein kann. Die Künstler hinterfragten das Klischee, Photografie sei eine objektive Darstellung, gleichsam ein Ersatz für die Realität. Im 19. und auch noch in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts haben die Mehrzahl der Menschen, das, was auf Photografien abgebildet war, tatsächlich geglaubt. Bloß spielt das längst keine Rolle mehr. Kein Mensch denkt doch heutzutage noch, daß es sich bei Photografie um ein objektives Medium handelt. Weil die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt sind, betrifft die meisten Menschen nur die Welt der Mitteilbarkeit und ihr gemeinsames Symbolsystem, Peter Meilchens Welt hat andere Grenzen, in ihr können Bilder vorkommen, die sich selbst bedeuten. Begreifen ist für diese Bilder das falsche Wort. Wir werden ergriffen. Vor dem Zugriff dieser Bilder flüchten wir. Wir stellen uns dumm, also empfindungslos. Wir tun so, als wären wir nicht radikal verunsichert und fragen nach der Bedeutung. Wir tun so, als wüßten wir nicht, daß diese Bilder nichts bedeuten. Keineswegs ist die Welt also nur alles, was der Fall ist, der Künstler kann es so zeigen, daß sie uns auf fremde Weise vertraut vorkommt.
Ziel der künstlerischen Initiativen ist es mit anderen Künstlern in Kontakt zu treten, um auf neudefinierte Bestrebungen der Kunst im weitesten Sinne hinzuweisen, um sich gemeinsam von tradierten, akademischen Ansätzen zu lösen, um neue Wege zu gehen und auf diese beispielsweise durch die Organisation gemeinsamer Ausstellungen aufmerksam zu machen. Die Grenzen zwischen allen Bereichen der bildenden und angewandten Kunst verlaufen dabei fließend.
1989, zum Fünfundzwanzigjährigen, trafen sich in Linz Peter Meilchen, Jürgen Diehl und Martini mehrere Tage zum Projekt Drei über Wasser. Die Künstler kehren zum Ideal der Einfachheit zurück, ließen sich durch Fundstücke, die der Rhein herangespült hat inspirieren. Die dabei entstandenen Arbeiten zeigten die drei Künstler in Krumscheids Atelier im Rheintor. Hierher sollte es mit der Ausstellung UnderCover und dem Projekt Rheintor Linz – Anno Domini 2011 einer Rückkehr geben; thematisch durchaus in der Tradition: Die ganze Reihe im Rheintor lugt über Grenzen als Multiple hinaus, wenn man Sprach- und Ordnungsmotive durch die Gattungen dekliniert: Rauminstallationen entstehen mit und/oder den Objektbüchern, die einen neuerlichen Zugriff auf das Medium Sprache ermöglichen. Desillusionierung führt aber nicht zwangsläufig zu einer Entzauberung der Welt.
In der Nähe von Kunstmuseen wächst der Glaube von Qualität offenbar selbstverständlicher als am Rande eines Heimatmuseums.
(aus Schimpfen)
1994 zu 30 Jahre Krumscheid / Meilchen, wurde dann im von beiden sehr geschätzten Treffpunkt Martins-Stuben gefeiert. Gezeigt wurde dabei ein kurz zuvor entstandenes Video Die Macht am Rhein, der Versuch einer Flußüberquerung. Meilchens Idee der Photografie beruht auf dem gestalterischen Grundsatz, wonach das Know–how – die Beherrschung der Mittel – wertlos ist ohne Know–why, ohne das Interesse an seinem Motiv. Auf dem Weg über unsere Netzhaut verändert sich ein Bild, und was es in uns auslöst, wenn es auf unser inneres Auge trifft, kann weit davon entfernt sein, was es in Wirklichkeit zur Anschauung bringt. Denn ähnlich wie Proust mit Büchern ergeht es uns mit Bildern. Sie rühren uns an, weil wir uns in ihnen wieder erkennen. Was wir dann sehen, ist eine Fortsetzung des Bildes mit narrativen Mitteln.
Am Ende. Es gibt kein Resümee. Nur der Beginn einer Einsicht, die erhellend über eine Summe von Erfahrungen strahlt.
(aus Schimpfen)
50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen läutete augenzwinkernd die Kanonisierung ein;-) Krumscheids Patchwork zeigt bei der Zusammenstellung der künstlerischen Arbeiten und der eingeladenen Personen keinen Analytiker, sondern einen Menschenerklärer, einen Lebensvertrauten. Die Jahresgaben-Ausstellung des Kunstvereins im Rathhaus Linz stellt die Frage, was Kunst eigentlich ist, mit einem Eigensinn und einer Intensität, die in Zeiten, in denen die kalkulierte Marktkonformität den Betrieb dominiert, die Schönheit des unorthodoxen Denkens selbst illustriert.
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630, Buch / Katalog-Projekt von Peter Meilchen, Tom Täger und A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Bad Mülheim 2018.
Bisher sind in der Edition Das Labor DVDs, ein Hörbuch und ein Roman von Peter Meilchen erschienen. Im Jahr 2014 erinnerte der Kunstverein in Linz mit einer Ausstellung an den Künstler, in der erstmals die Reihe Frühlingel vorgestellt wurde. Zu diesem Anlass erschien mit der Wortspielhalle eine Publikation, die als Role Model für dieses Buch / Katalog-Projekt dient, das zum 10. Todestag erscheint. Das Buch / Katalog-Projekt 630 gibt einen konzisen Überblick über die künstlerische Arbeit von Peter Meilchen in Linz und in der Werkstattgalerie Der Bogen.
Weiterhin von Peter Meilchen in der Edition Das Labor erhältlich:
Schland, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2009
Texte, Hörbuch, Edition Das Labor, Mülheim 2010
Beobachtungen eines Unsichtbaren, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2011
Leben in Möglichkeitsfloskeln auf Kulturnotizen 2013
Schimpfen, Roman, Edition Das Labor, Mülheim 2013
Frühlingel, erscheint im Buch/Katalog-Projekt Wortspielhalle, Edition Das Labor, Mülheim 2014
630, Buch / Katalog-Projekt von Peter Meilchen, Tom Täger und A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Bad Mülheim. Erscheint am 27.10. 2018.