die neuen bilder von uwe y. albert, in ihrer malerischen qualität nochmal eine steigerung gegenüber früheren arbeiten, im kunstbuch Vom Krieger zum Krieger des Lichts, das sich auch als katalog betrachten läßt, sind malerisch und transparent, realistisch und symbolisch zugleich. auffallend ist der häufige kontrast zwischen dem vordergrund, der meist menschliche figuren, überwiegend frauen, darstellt, und zwar häufig physiognomisch, mit eindringlichen gesichtern und gesten, die auf ein bestimmtes befinden, und auch verletzbarkeiten, hindeuten, und einem teils tagtraumhaften hintergrund, der oft, indem er lebensverhältnisse hinterfragt und auf gesellschaftliche zusammenhänge hinweist, als erklärung gedeutet werden kann, so bei »Entspannung«, wo die figuren auf dem innenhof oder bürgersteig ihres wohnzimmers die stromstecker gezogen haben und nicht mehr unter der spannung medialer manipulationen stehen. mehrfach findet man das motiv der illusionierenden freizeit, die keine wirkliche freiheit ist. »Europa« zeigt ein kriegsschiff am strand direkt neben fahnenschwenkenden badeurlaubern. im vordergrund sieht man eine gruppe grimmig blickender männer und am rande mauern einer hausruine, die an krieg oder verfall gemahnen. solche bilder fordern auf, über nur momentane und private interessen hinauszudenken und das ganze im blick zu behalten. »Schilda« schildert die zerstörung der natürlichen welt der schildkröte, die in mythen als weltenschöpferin auftritt, durch menschliche technik.
einige der bilder, fenster nach innen und außen, ließen mich an wolfgang mattheuer oder uwe pfeifer denken, etwa »Jetzt« und »Perspektive«, wo der realismus etwas überwirkliches bekommt. in »Jetzt« hält eine skeptisch, oder gar erschrocken, schauende junge frau im vordergrund, während der hintergrund einen funkturm zeigt, ein streichholz in der hand, das vielleicht nicht bloß eine zigarette anzündet, sondern auf eine zündende idee hindeutet. ganz hinten links könnte aber auch ein brennendes haus zu sehen sein, sofern die schwaden nicht nur wolken oder nebel sind. bei »Perspektive« hängen menschen, offenbar bei einer freizeitbeschäftigung, an riesigen ballons, wobei man nicht weiß, wer hier wen zieht und lenkt. edgar allan poe beschrieb eine ballonfahrt zum mond in 19 tagen. der letzte mann auf dem mond starb allerdings vergangenes jahr.
die sonne erscheint teils hinter wolken kränkelnd. in uwe y. alberts früheren »Kurzschlussbildern« gibt es riesenhafte marschierende metallblöcke oder schrotthaufen, über denen mitunter krähen kreisen. diesmal entdeckt man riesige metallteile im hintergrund von »Entspannung« und »Schilda« und bedrohlich wirkende vögel in »Loslassen« und »Offenbarung«. riesen galten als wesen der unmenschlichen außenwelt, in der weder götter noch menschen leben, und krähen waren todesgalgenundteufelsvögel. man kann hier freilich auch regionale motive sehen, die zum einstigen maschinenbau und zu den elblandschaften in und bei magdeburg passen. krähen, vögel der urstromtäler, sind in orten an der elbe seit langem im sommer wie im winter alltagsvögel.
»Paula in Ägypterland«, eine unheimlich wirkende katze, die in die enge getrieben scheint, assoziiert katzengötterunddämonen. ägyptisch war der kater inkarnation der sonnengötter, mit deren sonnenaugen katzen gleichgesetzt wurden, sicher wegen ihrer leuchtenden augen. das »Totenbuch« beschreibt, wie eine große katze oder ein großer kater der apophisschlange, der größten gefahr für die herrschaft der sonne und die auferstehung der toten, den kopf abschneidet und sie zerstückelt. das »Pfortenbuch« erwähnt einen katzenköpfigen gott als türhüter vorm eingang zum totenreich. im unterweltsbuch »Amduat« hat einer der strafenden dämonen, »Der mit dem gewalttätigen Gesicht«, katzenkopf und katzenohren.
als nachttier symbolisiert die katze dämonische wesen. die lamia, die verschlingerin, ein vampirartiges griechisches gespenst, das kleine kinder raubte und menschen das blut aussaugte, wurde mit katzenkrallen beschrieben. in der »Snorri-Edda« erscheint die riesenhafte und giftige midgardschlange, die das mittelalter dem teuflischen ungeheuer leviathan naherückte, als katze. die keltische überlieferung kennt monsterartige katzen, die lebensfeindliche und zerstörerische kräfte verkörpern und, die mütterlichen bedeutungen der katze umkehrend, verheerende unglücke verursachen, indem sie getreide verdorren, fische aussterben und haustiere keine milch geben lassen, ja sogar ihre eigenen kinder und menschen fressen. das walisische katzenungeheuer cath palug verspeist sechzig krieger auf einmal.
das bild »Desperado« zeigt einen seelisch verwundeten, leidenden, verzweifelten, gedemütigten menschen, der mit seiner pistole aufs gesicht des betrachters zielt, das heißt gewalttätig wird, oder kriminell, und sich selbst weiter verwundet, indem er anderen gewalt antut. dazu gehört ein text von leon s. wolke, im bürgerlichen leben ingo westphal und arzt, dem heilen profession ist und der ganzheitliche therapien anbietet: »Jedes Problem sind wir selbst: / Ich bin die Verwirrung. / Ich bin die Angst. / Ich bin der Hass. / Ich bin der Neid. / Ich bin die Absage ans Leben. / Ich bin mein Gefängnis. / Ich bin die Vergangenheit. / Ich bin die Dummheit. / Ich bin die cognitive Dissonanz. / Jedes Problem löst sich, / wenn wir ihm alle Aufmerksamkeit / widmen und die Tatsachen erkennen, / dass wir das Problem sind.« bei angelus silesius findet sich die passage »Dein Kerker bist du selbst // Die Welt, die hält dich nicht, du selber bist die Welt, / Die dich in dir mit dir so stark gefangen hält.«
die texte von leon s. wolke in »Vom Krieger zum Krieger des Lichts«, geben, teils auf indianische und indische denkfiguren, oder weisheiten, zurückgreifend, daher die namen uwe yakaawea albert und leon shamengwa wolke, lebensrat, indem sie wege zur erlangung innerer stärke weisen und eine befreiung der sinne von manipulationen anregen. insbesondere wird zum überwinden von ängsten geraten: »Die Unfähigkeit inneren Frieden zu haben, ist die eigentliche Wurzel der Angst.« und »Totale Aufmerksamkeit bedeutet, dass es keine Energieverschwendung gibt.« die ideologie der permanenten gewinnmaximierung und ausgabenverringerung stürzt menschen, die im arbeitsprozeß nur noch funktionieren müssen, freilich in verhaltenszwänge, die ihnen eine vertiefende konzentration kaum mehr ermöglichen.
»Meditation ist das Entleeren des Bewusstseins, aller Ängste und Sorgen, aller Konflikte durch totale Aufmerksamkeit bzw. vollkommene Beobachtung. Meditation ist ein warmer Eisregen im Moment tiefster Liebe auf unserer Haut. Meditation ist der Moment, wo alles ist, wie es ist.«. dies postuliert das annehmen und zugleich verarbeiten und vertiefen des gegebenen. neben diesem text sieht man das befreiend ekstatische bild »Entzaubern«, wo eine frau herausgerissene stromstecker fortträgt. überhaupt entdeckt der leser wiederholt gedanken, die an mystiker erinnern, so: »Der Weg zum Krieger des Lichts führt durch ein Niemandsland, was wirklich noch niemand vor uns betreten hat.« dazu passen die beiden bilder davor, »Sucher« und »Erkenntnis«, wo die figuren etwas verborgenes in einer schneewüste zu suchen scheinen. ganzheitliche wahrnehmungen, wahrscheinlich die ursprünglichen, die verschiedene erfahrungswelten verbinden und entgrenzungen der sphären verlangen, sind oft grenzerfahrungen, die auch schmerzhaft sein können.
insbesondere epochen der krise und des übergangs waren zeiten der mystik. leon s. wolke könnte man einen materialistischen mystiker nennen, der dem irdischen lebensganzen und lebenspraktischen zugewandt bleibt, womit er der menschenkenntnis und den lehren vom richtigen maß von philosophen der antike nahekommt, so epikur, cicero, seneca oder plutarch. freilich droht alles positive, vor allem durch mißbrauch, in apologetik, und damit eine rechtfertigung des bestehenden, überzugehen.
im bildtext »Der Berg predigt« von uwe y. albert, einem paradoxen kommentar zur »Bergpredigt« im »Neuen Testament«, liest man: »Schafft ihr frieden, hat gott bald zu viele kinder.« thomas von aquin verwarf die möglichkeit, daß die seelen der toten im paradies nicht mehr gebraucht werden, was einige theologen behaupteten, weil sich die seligen untereinander fortpflanzten, und glaubte: »weil Essen, Trinken, Schlafen und Sichfortpflanzen zum sinnenhaften Leben gehören, da sie auf die Vollkommenheit der Natur hingeordnet sind, werden solche Tätigkeiten nach der Auferstehung fehlen.« giorgio agamben kommentierte: »Die Auferstehung ist gemäß seiner Lehre nicht auf die Vollendung des natürlichen Lebens der Menschen, sondern einzig auf die Vollendung des kontemplativen Lebens gerichtet.« und »Es wird nicht das gesamte Fleisch gerettet werden, und die göttliche oikonomia der Rettung hinterläßt in der Physiologie der Seligen einen unerlösbaren Rest.« der mensch sollte nach seinem tod ins paradies vor der entstehung der sündigen menschheit zurückkehren, was an die altägyptische vorstellung erinnert, die totenwelt sei ein rest der welt vor der schöpfung und der tote gelange zum anfang der welt zurück.
die »Bergpredigt« selbst, in der man gedanken von salomo und diogenes wiederentdeckt, ist eine montage paradoxer aphorismen: »Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.«, »Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.«, »Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.«, »Selig sind, die um der Gerechtigkeit Willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.« man könnte noch weitere ähnliche gedanken hinzufügen: »Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein.«, »Weh euch Reichen! Denn ihr habt euern Trost schon gehabt.«, »Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.«, »Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.« biblisch geht es mehr um verhaltensweisen menschlicher gemeinschaften, während leon s. wolke vor allem das individuelle seelenwohl im blick hat.
zwischen den bildern und texten sind »Nachdenk- und Notizseiten« eingeschoben, die dem buch, das man ein nachdenk-buch nennen könnte, etwas operatives geben und den leser und betrachter zum nachdenken und reflektieren anregen und auffordern, sich selber notizen, und damit gedanken, zum gelesenen und gesehenen zu machen. das erinnert an schauspieler, die sich auf der bühne von ihren rollen lösen, ins publikum gehen und mit den zuschauern reden. auch werden die titel der bilder innerhalb des buches zu, meist assoziativen, wortfeldern erweitert. »Entspannung« etwa heißt »Verstörung, Kappen, Entspannung, Wohlsein«, »Perspektive« »Propaganda, Ungehorsam, aktiv, Perspektivänderung«, »Schilda« »Verheißung, Masse, Verhängnis« und »Jetzt« »Jetzt, Störsender, wer Wind sät«. diese wortkombinationen, die jeweils worte nebeneinander stellen, deren bedeutungen zusammenhänge und kontraste bilden, sollen ebenfalls nachdenken herausfordern.
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Vom Krieger zum Krieger des Lichts, oder: Das Ende der Sinnsuche, von Leon S. Wolke und Uwe Y. Albert, Weberknecht-Edition, Magdeburg, 2017
Weiterführend →
Ein Essay über die Arbeit von Uwe Albert.