Zwei Erschlagene

 

Märtyrer …? Nein.

Aber Pöbelsbeute.

Sie wagtens. Wie selten ist das heute.

Sie packten zu, und sie setzten sich ein:

sie wollten nicht nur Theoretiker sein.

 

Er: ein Wirrkopf von mittleren Maßen,

er suchte das Menschenheil in den Straßen.

Armer Kerl: es liegt nicht da.

Er tat das Seine, wie er es sah.

Er wollte die Unterdrückten heben,

er wollte für sie ein menschliches Leben.

Sie haben den Idealisten betrogen,

den Meergott verschlangen die eigenen Wogen.

Sie knackten die Kassen, der Aufruhr tollt –

Armer Kerl, hast du das gewollt?

 

Sie: der Mann von den zwei beiden.

Ein Leben voll Hatz und Gefängnisleiden.

Hohn und Spott und schwarz-weiße Schikane

und dennoch treu der Fahne, der Fahne!

Und immer wieder: Haft und Gefängnis

und Spitzeljagd und Landratsbedrängnis.

Und immer wieder: Gefängnis und Haft –

Sie hatte die stärkste Manneskraft.

 

Die Parze des Rinnsteins zerschnitt die Fäden.

Da liegen die beiden am Hotel Eden.

Bestellte Arbeit? Die Bourgeoisie?

So tatkräftig war die gute doch nie …

Wehrlos wurden zwei Menschen erschlagen.

 

Und es kreischen Geier die Totenklagen:

Gott sei Dank! Vorbei ist die Not.

„Man schlug“, schreibt einer, „die Galizierin tot.“

Wir atmen auf! Hurra Bourgeoisie!

Jetzt spiele dein Spielchen ohne die!

 

Nicht ohne! Man kann die Körper zerschneiden.

Aber das eine bleibt von den beiden:

 

Wie man sich selber die Treue hält,

wie man gegen eine feindliche Welt

mit reinem Schilde streiten kann,

das vergißt den Beiden kein ehrlicher Mann!

 

Wir sind, weiß Gott, keine Spartakiden.

Ehre zwei Kämpfern!

Sie ruhen in Frieden!

 

 

 

***

Erstdruck in: Weltbühne, 23. Januar 1919

Tucholsky in Paris (1928)

Wenige Tage nach der blutigen Niederschlagung des Januaraufstands verhafteten am 15. Januar 1919 in Wilmersdorf Mitglieder einer Bürgerwehr die untergetauchten Führer des Spartakusbunds, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die beiden Köpfe der revolutionären Bewegung wurden in das Hauptquartier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division im Eden-Hotel verschleppt und dort verhört. Anschließend erschossen Soldaten Liebknecht im nahe gelegenen Tiergarten. Luxemburg wurde ebenfalls nach dem Verhör aus dem Hotel gebracht, dabei schwer verletzt und kurz darauf in einem Auto erschossen. Ihre Leiche warfen die Soldaten der Begleitmannschaft in den Landwehrkanal, wo sie erst Ende Mai 1919 gefunden wurde.